In der Komposition geht es nicht um ein biografisches Ich und Du, sie thematisiert vielmehr das Ich als einen Ort zentrierter Wahrnehmung und das Du als einen Ort der Projektion. Zunehmend beschäftigt mich kompositorisch wie lebensweltlich die Frage, was in unserer medialisierten Gegenwart die Besonderheit eines Einzelnen ist und inwiefern das Andere mit einer spezifischen Resonanz zu tun hat. Insofern liegt der Komposition ebenso die alltägliche Erfahrung wahllos gehörter intimer Handygespräche an öffentlichen Orten zugrunde, wie die existenzielle Frage, was die Sinneinheit eines musikalischen Gedankens ist, wo zugleich im Hinterkopf das Rauschen der ästhetischen Vielfalt permanent präsent ist.
Die Disposition legt nahe, das Soloinstrument als das Ich und das Orchester als das Du zu denken, doch die Musik handelt von Umschichtungen und Umdeutungen, von Grenzziehungen, Übergriffen, Zuschreibungen oder Selbstbestimmungen. Insofern kann das Klavier zum Du werden, vor dem das Orchester sich als ein Ich abhebt, oder es kann sich selber fremd werden, indem es vom intimen Klang zur fremdbestimmten Maschinerie mutiert.
Ich und Du sind jeweils als musikalische Prinzipien gedacht, losgelöst davon, ob sie von einem oder vielen Instrumenten repräsentiert werden. Das Soloinstrument bedeutet in diesen Konstellationen lediglich den Fokus sich wandelnder Bedingungen. In fünf Abschnitten, deren Übergänge fließend sind, wird das Ich auf verschiedene Weise thematisiert: als Schnittmenge, Ort der Selbstbefragung, Landschaft, Ort der Zuschreibung bzw. des Selbstverlustes sowie als Ort der Durchlässigkeit.
Kitano Nishida beschreibt das Ich als einen "ortshaften" Schnitt, der nicht aus der Umgebung begründbar, aber doch wesentlich an sie gebunden ist. Die Lektüre seines philosophischen Textes "Ich und Du" hat meine Komposition geprägt, doch beim Lesen bleiben die Phänomene allgemein, während jeder gesetzte Klang zu einem Einschnitt wird. Das Spannungsfeld zwischen allgemeiner Reflexion und Alltagseindrücken bestimmt mein musikalisches Denken. Es spiegelt sich in dem Wunsch, eine Idee durchdenken zu wollen und doch zu akzeptieren, dass das Komponieren wesentlich irrational ist, weil ich nicht außerhalb meiner selbst den Vorgang des Komponierens überblicken kann. Die Komposition Ich und Du handelt von diesen wechselnden Perspektiven, weshalb sie zuletzt doch, in einem nichtsubjektivistischen Sinne, biografisch ist.
- Festivaljahrgänge
- Donaueschinger Musiktage 2008
- Themen in diesem Beitrag
- Isabel Mundry, Ich und Du für Klavier und Orchester
- Verwandte Beiträge
- Werke des Jahres 2003: Isabel Mundrys "Penelopes Atem", Donaueschinger Musiktage 2018: Eröffnungskonzert