Anna Netrebko – sie ist der hellste Stern am Opernhimmel. Eine unvergleichliche Karriere, eine Popularität, wie sie sonst in der Klassikwelt kaum vorstellbar ist. Und trotzdem ist ihr die Familie das Wichtigste, stellt sie ihr privates Glück über alles.
Oper wird es immer geben, meint Anna Netrebko, weil sie hochkomplex ist, aber wunderschön. Und weil sie die Menschen immer wieder aufs Neue emotional bereichert. Am 18. September feiert der Publikums- und Medienliebling ihren 50. Geburtstag, SWR2 gratuliert.
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Oper spielte in der Kindheit keine Rolle
Anna Netrebko hat den Begriff des Opernstars neu definiert und zählt zu den prominentesten Sängerinnen der Gegenwart. Dabei spielte Oper in ihrer Kindheit eigentlich gar keine Rolle
Die Mutter arbeitete als Ingenieurin, der kürzlich verstorbene Vater war Geologe, doch irgendwie war Kunst im Akademiker-Haushalt der Netrebkos immer präsent, erzählt die russische Operndiva.
Einer ihrer Onkel war zudem Kunstmaler. Ab und zu schaute sie ihm über die Schulter oder vertiefte sich in einem Bildband über Malerei. Noch heute hat Anna Netrebko ein Faible für Museen, insbesondere für Skulpturen, Malerei und Porzellan.
Die Familie wusste: Das Mädchen muss auf die Bühne
Mit 16 Jahren in Petersburg angekommen, hat Anna Netrebko dann aber nicht mit einem Malerei-, sondern mit einem Gesangsstudium begonnen. Denn in der Familie wussten schon immer alle: Das Mädchen muss auf die Bühne.
Kurz nach ihrem Studium am Rimski-Korsakow Konservatorium in St. Petersburg gewann sie den begehrten Glinka-Wettbwerb, es folgte ein Engagement am Mariinsky Theater. 1994 gab sie dort auch die Susanna, mit der sie noch im selben Jahr im Ausland gastierte, unter anderem beim Schleswig Holstein Musik Festival.
Internationale Karriere nahm schnell Fahrt auf
Der Sprung auf die internationalen Bühnen erfolgte dann ein Jahr später. 1995 reiste das Marinskii Theater für ein Gastspiel nach San Francisco – mit im Gepäck: Glinkas Oper "Ruslan und Ludmilla". Die 23-jährige Anna Netrebko verzauberte in der Titelpartie.
"Hier ist eine exquisite junge Stimme – klar, anmutig, zielsicher und präzise", feierte etwa der San Francisco Chronicle die Newcomerin. Schnell nahm die Karriere Fahrt auf. Ein weiterer Durchbruch war dann der Auftritt als Donna Anna in Mozarts "Don Giovanni" bei den Salzburger Festspielen 2002.
Das Blumenmädchen wird erwachsen
Was jedoch die wenigsten wissen: Anna Netrebko war schon zuvor auf der Bühne der barocken Mozartstadt zu hören. Ihr Salzburg-Debüt gab sie 1998, als Blumenmädchen in Wagners Parsifal. Plácido Domingo sang damals den Parsifal.
Das Blumenmädchen musste dann aber schnell erwachsen werden. Seit der Salzburger Donna Anna singt Anna Netrebko auf der ganzen Welt. Schnell hat sie gespürt: je größer das Publikum, umso höher die Erwartungen.
Russische und österreichische Staatsbürgerin
Eine weitere wichtige Station ihrer Karriere ist Wien. 2003 ging Anna Netrebko als Violetta in Verdis "La Traviata" in die österreichische Hauptstadt. Seit einigen Jahren hat sie hier – neben St. Petersburg und New York – auch ihren festen Wohnsitz. 2006 wurde sie österreichische Staatsbürgerin.
Die Russische Staatsbürgeschaft behielt Anna Netrebko dennoch. Für internationales Aufsehen sorgte aber vor allem ihr politisches Engagement. So unterstützte sie die Wiederwahl von Präsident Vladimir Putin, 2014 posierte sie mit dem Separatistenführer Oleh Zarjow vor der Flagge des international nicht anerkannten Staates Neurussland. Das Bild ging durch die Medien und brachte der beliebten Opernsängerin viel Kritik ein. Bei unserem Interview wollte sie keine politischen Fragen beantworten.
Mit Corona ins Krankenhaus
2020 musste die Sängerin um ihre Stimme bangen. Denn auch der Opernstar blieb nicht von der Corona-Pandemie verschont. Vor ziemlich genau einem Jahr infizierte sich Anna Netrebko mit dem Covid-19 Virus. Ein Sängerkollege hatte sie angesteckt.
Was heute nach einem leichten Verlauf klingt, musste damals aber mit vielen Medikamenten und einer Blutplasma-Fusion behandelt werden. Der Neustart danach war nicht einfach, aber drei Wochen nachdem sie aus dem Krankenhaus entlassen wurde, stand Anna Netrebko bereits wieder auf der Bühne der Mailänder Scala. Stimmlich und atemtechnisch hat sie bis heute keine Probleme. Allein: seit ihrer Infektion begleiten sie konstante Muskelschmerzen.
Neue Beschäftigungen während der Pandemie
Auch die Konzerte der Operndiva mussten aufgrund von Covid gecancelt werden. Ohne Beschäftigung halte sie es aber keine Sekunde aus, meint die Sängerin in unserem Gespräch im Hotel Sacher in Wien.
Daher hat sie für das Traditionshaus erst kürzlich selbst zum Pinsel gegriffen und eine Tortenschachtel designed. Der Erlös dieser Schachteln geht an einen guten Zweck. Aktuell schreibt Anna Netrebko an einem Kochbuch.
Bühne auf Social-Media-Accounts vergrößert
Seit einigen Jahren hat Anna Netrebko ihre Bühne vergrößert. Mit Accounts auf Facebook und Instagram lässt sie die breite Öffentlichkeit an ihrem Privatleben teilhaben.
Eine neue Art von Publikum begleitet die Diva zu Proben mit Kollegen wie Jonas Kaufmann oder kommentiert die Neugestaltung ihrer Dachterrasse. Lebensfroh und vielseitig – so präsentiert sich die Social-Media-Queen auf den Plattformen.
Dass der Weltstar dabei seinen Social-Media-Auftritt keiner Werbeagentur überlässt, ist beeindruckend. Das Bild, das sie nach außen sendet, liegt in ihrer Hand.
Unfassbar erfolgreich
Im Zuge ihrer historischen Welt-Karriere hat die beliebte Sängerin viele Preise eingeheimst: Sie war Musician of the Year, hat drei Grammy-Nominierungen erhalten, den deutschen Bambi, den Classical Brit Award sowie neun Echo Klassik Preise. Der Russische Staatspreis wurde ihr ebenso verliehen wie der Titel österreichische Kammersängerin.
Anna Netrebko ist Exklusivkünstlerin der Deutschen Grammophon und Botschafterin der Marke Chopard, neben den wichtigsten Bühnen der Welt, ist sie auch schon in einem Hollywood Film mit Anne Hathaway und Judy Garland zu sehen gewesen. Das Time Magazin hat Anna Netrebko auf die Liste der "Time 100" – der einflussreichsten Personen auf dem Planeten aufgenommen.
Anna Netrebko: ein Familienmensch
Anna Netrebko zeigt sich als Arbeitstier. Dennoch – kaum beginnt die Operndiva über ihre Familie zu sprechen wird der Ton in ihrer Stimme weicher, vielleicht sogar privater, persönlicher.
Was viele aber vielleicht doch verwundert: gesungen wird im Haushalt der Netrebkos fast nur auf professioneller Basis. Sohn Tiago hört zwar die Hitparaden-Charts, allerdings mit Kopfhörern.
Beim Kochen wird man Anna Netrebko kaum eine Arie trällern hören, unter der Dusche stimmt sie schon gar kein Lieblingslied an. Just for Fun, also nur so zum Spaß, singt sie zu Hause nicht, verrät sie.
Kritiker einig: Stimme hat eine besondere Qualität
Die Stimme der Netrebko hat sich im Laufe ihrer Karriere immer weiterentwickelt, ist Timbre-reicher, üppiger, dramatischer geworden. Damit ergaben sich in den vergangenen Jahren auch neue Rollen und Charaktere für die Sängerin, darunter die Leonora in Giuseppe Verdis "Il Trovatore" oder die Aida.
Doch auch wenn viele Kritiker die Kunst der Netrebko eher auf ihr Aussehen als auf ihre Stimme reduzieren, so sind sich Kolleg*innen einig: Eine Qualität, über die Anna Netrebko immer schon verfügt hat, ist dieses besondere, reichhaltige hohe Register.