Die Musikindustrie hat sich gewandelt. Die großen Player im Business heißen heute Spotify und TikTok. Die Folgen für Musiker*innen seien verheerend, kritisiert der britische Sänger James Blake – und präsentiert mit Vault.fm die „Lösung“, wie er sagt. Musikfans reagieren skeptisch.
„Für Künstler*innen einfach nicht nachhaltig“
Auf Instagram rechnet James Blake vor, was für die meisten Musiker*innen Realität ist: Sie bekommen von Streamingplattformen wie Spotify kaum einen Cent für ihre Musik. „Zwischen 0.003 bis 0.005 Dollar pro Stream“ gebe es je nach Plattform. Macht 3000 Dollar Einkommen bei einer Million Streams. Immerhin, möchte man meinen.
Doch eine Million Streams schaffen auf Spotify nicht einmal 20 Prozent der Künstler*innen. „Und wenn man einen Plattenvertrag hat, dann gehen mindestens 50 Prozent dieser Einnahmen direkt an das Label“, so Blake weiter – und 15 bis 20 Prozent ans Management. Von Produktionskosten und Steuern mal ganz abgesehen. „Für Künstler*innen ist das einfach nicht nachhaltig.“
James Blake hat die „Lösung“: Vault.fm
Jetzt macht James Blake Nägel mit Köpfen. Mit Vault.fm präsentiert er eine Alternative zu den großen Streamingplattformen, ein Projekt, das gerade erst an den Start gegangen ist. Blake will in Zukunft seine unveröffentlichte Musik den Fans auf Vault zur Verfügung stellen – gegen eine monatliche Gebühr von fünf Dollar.
Artists können auf Vault ihre Musik zu ihren eigenen Bedingungen veröffentlichen. Es gibt keine Mittelspersonen, die mitverdienen. Die Soundqualität ist besser als bei Spotify und Chaträume ermöglichen den direkten Kontakt zwischen Artist und Fans.
TikTok entscheidet, was ein Hit wird
Bereits in der Vergangeheit kritisierte der britische Singer-Songwriter, wie schwierig die Existenz für Musiker*innen im Streaming- und TikTok-Zeitalter geworden sei. Die Plattformen hätten die Mentalität durchgesetzt, dass Musik jederzeit kostenlos zur Verfügung stehen würde.
Musiker*innen müssten heute nicht mehr gute Songschreiber*innen sein, sondern in der Lage, auf TikTok viral zu gehen. Eine belastende Situation, sagt Blake.
Vor allem weil sich die TikTok-Hits auf kürzeste Schnipsel beschränken, die sich in schier endlosen Videoschleifen wiederholen. Mit dem eigentlichen Musikmachen habe das nicht mehr viel zu tun, so Blake.
„Die Industrie ist beschissen“
Zudem bezahle auch Tiktok den Musiker*innen kaum einen Cent. Stattdessen erwarte man von Künstler*innen Dankbarkeit dafür, auf der Plattform stattfinden zu dürfen.
In einem Instagram-Post schreibt sich der Musiker den Frust vom Leib: „Die Industrie ist beschissen und die Musiker werden darin härter abgefuckt als alle anderen. Ich habe großes Glück, dass ich Fuß fassen konnte, bevor das Streaming die Oberhand gewonnen hat.“
Fünf Dollar monatlich? Vielen schon zu viel
Ist vault.fm tatsächlich die „Lösung“, wie Blake es nennt, für das Problem der Monetarisierung von Musik im digitalen Zeitalter? In den Kommentarspalten des Instagram-Accounts von Vault herrscht Skepsis. Fünf Dollar monatlich für die Musik eines einzigen Künstlers, das ist vielen zu viel.
„Angenommen ich habe zehn Artists abonniert – das wären 120 Dollar im Monat zusätzlich zum Geld, dass ich für Spotify oder Apple Music ausgebe“ , schreibt eine Person – „tolles Konzept, aber das letzte, was die Leute wollen, sind noch mehr Abonnements“ eine andere.
Patreon ist ein erfolgreiches Vorbild
Das Konzept von Vault ist nicht neu. Die Plattform Patreon funktioniert nach dem gleichen Prinzip. Auch hier stellen Musiker*innen, Künstler*innen oder Autor*innen den Fans ihre Werke gegen einen Abo-Preis selbstbestimmt zur Verfügung.
Das Konzept scheint zu funktionieren, solange man darauf verzichten kann, mit seiner Kunst ein Millionenpublikum zu erreichen. Dafür ist der Kreis der Menschen, die bereit sind, exklusiv für einen Artist zu zahlen, zu klein. So richtig interessant ist der Service wohl nur für eingefleischte Fans, die den direkten Austausch mit „ihrem“ Idol wünschen.
An Spotify kommt keiner vorbei
An den Platzhirschen Spotify und Apple Music kommt so schnell keine Künstler*in vorbei. Denn die Streaming-Giganten ermöglichen der breiten Masse einen unkomplizierten Zugang zu Musik. Gerade die großen Player im Business möchten darauf nicht verzichten.
Neil Young zum Beispiel. Der beschloss vor zwei Jahren öffentlichkeitswirksam, Spotify zu boykottieren. Er wollte nicht auf der selben Plattform veröffentlichen wie der rechte US-Podcaster Joe Rogan, erklärte die Folk-Legende. Nun ist Young zurückgerudert. Seine Musik findet auf Spotify wieder statt.
Begründung: Er wolle seinen Fans den unkomplizierten Zugang zu seiner Musik nicht verwehren – und Apple Music und Co. seien schließlich auch nicht besser.
Was geht - was bleibt? Zeitgeist. Debatten. Kultur. Von Spotify leben: Entsteht gerade ein neues Musikprekariat?
Der Musikindustrie geht es insgesamt so gut wie lange nicht mehr, besser sogar als zu den Hochzeiten von Schallplatte und CD. Das kommt nur leider bei kleinen und mittelgroßen Bands oft nicht an. Streaming zahlt sich vor allem für die Großen im Geschäft aus. Die meisten Berufsmusiker*innen brauchen deswegen ein zweites Standbein, um über die Runden zu kommen.
Wie lebt man also heute von der Musik? Geht die typische Selbstvermarktung auf Social Media überhaupt auf? Die Mannheimer Indie-Rock-Band Engin trifft mit ihren Reels offenbar einen Nerv und schafft es, damit auf sich aufmerksam zu machen. Unsere Gäste, der frühere VIVA-Moderator Nilz Bokelberg und die Musikerin und Aktivistin Balbina, sind dennoch skeptisch. Viel zu oft bleibe bei all dem Fokus auf Merch und Konzerte die Musik selbst auf der Strecke.
Hosts: Christian Batzlen und Philine Sauvageot
Showrunnerin: Pia Masurczak
Links:
ARD-Doku Dirty Little Secrets über Spotify: https://www.ardmediathek.de/serie/dirty-little-secrets/staffel-1/Y3JpZDovL2JyLmRlL2Jyb2FkY2FzdFNlcmllcy85N2Q4ZmY0YS0yNDczLTRjYmItOTZhYi02Y2Q2NzQzY2NhMWE/1
Tourdates, Musik und mehr der Band Engin: https://www.handshake-booking.com/de/artist/engin/
Website von Balbina: https://www.balbina.fm/
Website von Nilz Bokelberg: https://www.nilzbokelberg.de/