Ennio: Das Erwachsenwerden erzählt in Polaroids

„Auf einmal hab' ich ne Vergangenheit, wo sind all die Jahre hin? Gestern lag ich noch mit dir zu zweit, heute kennt mich nur der Wind“, singt Ennio, begleitet nur von seiner markanten, rauen Baritonstimme und einem Piano im Lied „Allein“.

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Mehr braucht dieser Song nicht; die Intensität der Geschichte vermittelt der Münchner einfach durch die Kraft seines Gesangs.

Wie er in einem TikTok-Video erzählt, setzt das Lied dort an, wo das Lied „Kippe“ aufgehört hatte. „Wir haben noch eine Kippe Zeit, geh' ich noch mit dir oder allein?“

In diesem zweiten, 2022 veröffentlichten Song geht es um die erste Phase des Verliebtseins: Wie wird es ausgehen? Erwidert die andere Person meine Gefühle? Mit „Allein“ baut Ennio eine narrative Brücke von seinem ersten Album „Nirvana“ zu seinem „Schlaraffenland“.

Schlaraffenland: Ort der Selbstbestimmung

„Das Schlaraffenland ist für mich ein Ort, den man sich selbst erschafft“, erklärt Ennio in einem Statement. Er weicht von der eher gängigen und negativen Konnotation des Begriffs „Schlaraffendland“ ab, einem märchenhaften Ort des Faulenzens und des Überflusses, an dem man dem eigenen Schicksal ausgeliefert ist.

„Aber im Prinzip ist mein Schlaraffenland unsere Welt, nur auf 120 Prozent hochgefahren. Mit allen Höhen, aber auch Tiefen“, sagt er. Jede*r habe die Freiheit und Selbstbestimmung, das eigene Schlaraffenland zu bauen, auch wenn das manchmal mit Ängsten verbunden sei.

Die Stimme seiner Generation

Ennio Frankl, geboren 2000 in München, zählt zu den größten Talenten der deutschen Indieszene. 2022 wurde er mit dem ARD-Award „Newcomer des Jahres“ ausgezeichnet und ist in kurzer Zeit zu einer der wichtigsten Stimmen seiner Generation geworden.

In seinen Songs beschreibt er die Gefühle von Liebe und Einsamkeit, die Ängste um die Zukunft, das Nachtleben mit Freunden und beobachtet, wie die Welt da draußen zugrunde geht – und doch vermischt er all das mit Hoffnung.

Ein Beispiel dafür ist der neue Song „Blitzlicht“, in dem er von einer Nacht im Club erzählt, „das Blitzlicht beschützt mich, was soll ich ohne dich nur tun?“ Das Lied beschreibt das Gefühl, auf der Tanzfläche im Rausch der Nacht und der Partylichter einen Schutzort gefunden zu haben, um nicht an eine gescheiterte Liebesbeziehung zu denken. Diese Situation wird plastisch erzählt und festgehalten wie auf einem Polaroid.

Polaroids von Augenblicken

Ennios Musik pendelt zwischen melancholischen Balladen und Partysongs, die jedoch im Text niemals ausschließlich das Feiern zelebrieren. Sie sind vielmehr Polaroids eines Augenblicks, eines Gefühls – er versucht, einen Moment des Jungseins in einem Lied festzuhalten.

Wie zum Beispiel im akustischen Lied „Jungs“, das er nur von einer Gitarre begleitet seinem Freundeskreis widmet. Was passiert mit Freundschaften, wenn sich Dinge ändern, wenn man sich weiterentwickelt und erwachsen wird?

Lange an der Musik dran

Sein Erfolg entflammte so schnell wie eine Kippe, oder zumindest könnte es auf den ersten Blick so erscheinen. Doch Ennio macht schon lange Musik.

Als er 11 Jahre alt war, schenkte ihm sein Opa Gitarrenunterricht, und mit 14 begann er, seine ersten Lieder auf der Gitarre zu komponieren. Aber warum nicht dazu auch noch singen? Noch als Teenager beginnt er, unter dem Künstlernamen „Emotional Clubs“ überwiegend elektronische Musik zu produzieren und seine Texte auf Englisch zu singen.

Vom Englisch zu Deutsch: Dann kam der Erfolg

Der Titel „Crystal“ brachte ihm erste Bekanntheit in der Indie-Szene. Doch dann kam der Wendepunkt: Er verwendete seinen echten Namen und begann, auf Deutsch zu schreiben. Der Rapper Majan und bekannte Bands wie Jeremias und Provinz wollten ihn schlagartig als Support für ihre Konzerte.

Ennio hatte bereits Lieder auf Deutsch geschrieben, diese waren jedoch nicht online. Zwischen einem Auftritt und dem nächsten lud er dann ein weiteres Lied hoch – es war „Blaulicht“. In kürzester Zeit schossen die Abrufe in die Höhe: über zehntausend.

Das neue Album: Eine Weiterentwicklung

Vom ersten Album „Nirvana“ 2022 bis zum neuen „Schlaraffenland“ kann man die Weiterentwicklung des Künstlers deutlich beobachten. Das erste Album, voller Energie und noch mit vielen Elektro-Beats, klingt eher, als wäre es aus dem Bauchgefühl entstanden, als ob er seiner Intuition gefolgt wäre.

„Schlaraffenland“ ist durchdachter

„Schlaraffenland“ ist hingegen ein durchdachtes Werk. Ennio ist kein Erstling mehr, der einfach „macht“. Er wagt mehr: Die musikalischen Strukturen sind komplexer, und es werden viel mehr Instrumente eingesetzt, die alle analog aufgenommen wurden.

Beispielhaft ist das Lied „Palmen“, in dem seine Stimme von Streichinstrumenten untermalt wird und ihm einen Vintage-Touch verleiht. Es könnte gut als Filmsong funktionieren.

Nach Ennio Morricone benannt

Vielleicht hängt das auch mit seinem Namen zusammen. „Nomen est omen“ sagten die alten Römer, also „der Name ist ein Zeichen“. Seine Eltern haben ihn nach dem italienischen Komponisten und Dirigenten Ennio Morricone benannt.

Ennio bleibt sich treu

Im neuen Album bewegt er sich zwischen Rockelementen, Elektro, akustischen Tönen, und im Feature-Song „Fühlst du gar nichts?“ mit Nina Chuba, ist leicht ein lateinamerikanischer Sound zu erkennen.

Im Schlaraffenland gibt es auch die typischen energiegeladenen Songs von Ennio, wie „Strategie“ mit starken Bass-Beats, – ein Tanzlied, das viel Energie hat – oder „Mein armes Herz“, dessen dynamisches Tempo ebenfalls auf seinem letzten Album „Nirvana“ hätte sein können.

Ennio bleibt also seinem Gemüt treu, und doch ist er jetzt schon ein Stückchen reifer – ebenso wie seine Musik, die nicht nur Partylaune sein will, sondern ein musikalisches Schlaraffenland darstellt.