Zeitwort

20.8.1970: „Macht kaputt was Euch kaputt macht“ – Die erste Single von Ton Steine Scherben erscheint

Stand
Autor/in
Max Knieriemen

Mit ihrer ersten Single startete die Berliner Band „Ton Steine Scherben“ am 20. August 1970 eine bahnbrechende Karriere. „Macht kaputt was Euch kaputt macht “ war einer der ersten deutschsprachigen Rocksongs überhaupt, und auf jeden Fall einer der einflussreichsten. Deutschsprachige Popmusik eroberte wieder die Charts. Und die damalige Managerin der Gruppe, Claudia Roth, sitzt heute als Staatsministerin für Kultur im Kanzleramt.

Rio Reiser 1988
Rio Reiser 1988

Die „Scherben“ hatten eine politische Mission

Harter Gitarrensound und mit kratziger Stimme gekrähte, eingängige, anarchistische Parolen. Ein Auftritt in einer ARD Fernsehdokumentation hatte zuvor die vier Jungs aus Kreuzberg bekannt gemacht. Die „Scherben“ hatten eine politische Mission: „Keine Macht für Niemand“, „Der Kampf geht weiter“ und die ironische Hommage an einen „Sklavenhändler“. Aus Sicht des damaligen Reporters waren das banale Songtitel. Songwriter und Sänger Ralph Möbius, bekannter unter dem Künstlernamen Rio Reiser, sah das ganz anders.

 

Rio Reiser auf der Bühne
Rio Reiser, Songwriter und Sänger der „Scherben“starb , Am 20. August 1996 ím Alter von 46 Jahren.

„Es ist nicht primitiv banal, sondern es sind Sätze, Schlagworte, die gesagt werden, bei denen man in bestimmten Situationen erkennt, was damit gemeint ist. Und die dann agitieren können: Macht kaputt, was Euch kaputt macht!“

Soundtrack der Sehnsucht einer anderen Welt

Ton Steine Scherben wollte agitieren, wurde vor allem in der linken Szene gehört und nicht selten auch als Soundtrack der RAF verbrämt. „Diese Musik war erstmal ein Versprechen, dass es eine Welt außerhalb der kleinen engen Welt, in der man als Jugendlicher damals in Deutschland gezwungen war zu leben, existiert“, sagt Wolfgang Seidel, Schlagzeuger in der Gründungsformation von Ton Steine Scherben.

 

 Rio Reisers Gesang klang wie ein Versprechen

Glaubwürdiger Rock auf Deutsch, das hat außer Udo Lindenberg zu dieser Zeit sonst keiner geschafft. „Und wenn es eine Leistung gibt, die Rio vollbracht hat, dann die, dass er einen Gesangsstil entwickelt hat, der es schaffte, das einigermaßen aufrecht zu erhalten", so Wolfgang Seidel.

Riesiger Schuldenberg in den 1970er-Jahren

Eintritt wollten die erklärten Anarchisten oft nicht für ihre Konzerte nehmen, und so ist es kaum verwunderlich, dass die Band im Lauf der Siebzigerjahre einen erklecklichen Schuldenberg anhäufte.

1975 flohen die Scherben aus dem trubeligen Berlin in die nordfriesische Provinz. Bis zur Auflösung im Streit 1985 folgten noch zwei weitere Studioalben. Ihren Platz in den Geschichtsbüchern hatte die Band ohnehin sicher. Das gilt vor allem für den Sänger und Songwriter Rio Reiser. Er starb 1996, inzwischen ist er so etwas wie ein Säulenheiliger der deutschen Rock-Pop-Geschichte.

Einstige Speerspitze des Antikapitalismus wird heute lukrativ Pop heute verwertet

Kaum eine deutsche Band wurde seitdem so oft gecovert wie Ton Steine Scherben. Es entehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die Speerspitze des Antikapitalismus im Pop heute von Medien und Musikindustrie hemmungslos verwertet wird. In Berlin-Kreuzberg ist jetzt ein Platz nach Rio Reiser benannt worden; „Scherben-Platz“ hätte wohl nicht so gut geklungen, lästert Gründungsmitglied Wolfgang Seidel, der den neuen Ruhm seiner alten Band nicht wirklich genießen kann:

„Der Reiz dieser Musik bestand darin, eine Rebellion gegen das Immergleiche zu sein, während heute Popmusik die Reklame fürs Immergleiche ist, die Unterwerfung unter das Immergleiche. Und dass ich da so auf Distanz bin bei diesem Hype, hat damit zu tun, dass das, was da unhinterfragt als Rolle von Rockmusik weitergesponnen wird, so nicht mehr stimmt.“

25. Todestag des Ausnahmekünstlers Rio Reiser und sein musikalisches Erbe

Mit Rio Reiser starb vor 25 Jahren ein musikalischer Wegbereiter, der die deutschsprachige Rockmusik für immer veränderte. Doch die Verschmelzung von Authenzität, Politik und Emotion, die Reiser einst mit einer großen Portion Attitüde kombinierte, lebt weiter: durch zahlreiche musikalische Erb*innen.

Stand
Autor/in
Max Knieriemen