Der 1966 in der Schweiz geborene Schriftsteller Christian Kracht hat mit Romanen wie „Faserland“, „1979“ und „Imperium“ ein literarisches Werk veröffentlicht, das stilprägend für die jüngere deutschsprachige Literatur war und ist. Mit „Eurotrash“ knüpft er inhaltlich an „Faserland“ an. Aber „das affektierte Herumkreisen ums eigene Werk und Leben ist leider auf die Dauer ermüdend“, meint SWR2 Literaturkritiker Carsten Otte.
Da ist er also wieder, der gute alte und etwas gespreizte Plauderton
Das selbstreferenzielle Spiel beginnt schon im ersten Absatz. Vor einem „Vierteljahrhundert“ habe er eine Geschichte geschrieben, beginnt der Ich-Erzähler, die er aus „irgendeinem Grund“, der ihm nun entfallen sei, „Faserland“ genannt habe.
Es liegt also nahe, Christian Krachts neuen Roman „Eurotrash“ als Fortsetzung seines mittlerweile legendären Debüts zu lesen, zumal beide Bücher mit demselben Füllwörtchen beginnen. Da ist er also wieder, der gute alte und etwas gespreizte Plauderton, in dem Christian Kracht literarisch unterwegs war und ist.
Die Reise in „Eurotrash“ beginnt, wo sie in „Faserland“ endete
Die Tonlage ist gesetzt, der dramaturgische Bogen abgesteckt. In „Faserland“ war der Erzähler durch die alte Bundesrepublik gefahren, hatte von Sylt bis zum Bodensee eine Party nach der anderen besucht und war schließlich in Zürich gelandet.
Jetzt beginnt die Reise, wo sie vor 25 Jahren aufgehört hatte. Der Sohn wird mit seiner über achtzigjährigen Mutter zahlreiche Orte in der Schweiz besuchen, die für sie und für ihn wichtig waren. Was aber keineswegs eine neue Nähe entstehen lässt. Es herrscht ein wechselseitiges Desinteresse.
So begreift der Erzähler auch erst spät, dass sich die Mutter mit einem künstlichen Darmausgang herumplagt. Er nennt das einen „Einbruch in die Realität“, wobei sich spätestens an dieser Stelle die Frage stellt, wer oder was hier real ist.
Erzähler und Autor heißen Christian Kracht - was verbindet sie?
So klar nämlich das Setting, so unsicher wirken bald die Textprämissen: Was verbindet Erzähler und Autor, die beide auch noch Christian Kracht heißen? Ist das Roman-Ich vielleicht eine große Simulation? Sind die Erzähler in „Eurotrash“ und „Faserland“ wirklich identisch? Wie autofiktional sind die Bücher? Und sind all diese Fragen überhaupt von Belang?
Die Familiengeschichte jedenfalls, die im neuen Roman ausgebreitet wird, ist streckenweise leicht verstörend, wenn es etwa um sexuelle Vorlieben von Vater und Onkel geht, um „sadomasochistische Apparaturen“, die der Sohn in geheimen Zimmern und Wandschränken findet.
Noch eine Doppelung: Der Vater des Erzählers und der des Autors heißen Christian Kracht
Kurioserweise heißt der Vater des Erzählers ebenfalls Christian Kracht. Und zwar im Roman genauso wie im sogenannten „wahren Leben“. Vater Kracht, das lässt sich leicht recherchieren, war ein schwerreicher Medienmanager und Freund von Axel Springer, der in „Eurotrash“ als Großkotz beschrieben wird.
Ist das Buch demnach als Abrechnung mit der eigenen Familie zu verstehen? Vorneweg gibt es den Hinweis, dass die Charaktere zwar „Vor- und Urbilder in der Realität haben“, die Handlungen und Ereignisse aber fiktiv seien. Dabei handelt es sich wohl nicht nur um eine juristische Absicherung.
Kracht rechnet in an vielen Stellen mit der Rezeption seiner Werke ab
Das Spiel mit biographischen Details gehört wie auch die Parodie bekannter Genres zur Erzählstrategie des Autors, dem immer vorgeworfen wurde, er sei literarisch „schwer zu fassen“. In „Eurotrash“ rechnet er jedenfalls an vielen Stellen mit der Rezeption seiner Werke ab. Etwa wenn die Mutter über ihr Seelenunheil räsoniert und dann dem Sohn empfiehlt, doch bitte endlich mal bessere Romane zu schreiben.
Der biographische Spaß ist grundsätzlich mit familiären Horrorgeschichten verbunden
Eine gewisse Komik kann man solchen Passagen nicht absprechen. Die Kunst der Selbstironisierung beherrscht Christian Kracht. Mal gibt sich sein Roman-Ich als Daniel Kehlmann aus, mal versucht der Erzähler mit der Legende aufzuräumen, jener exaltiert-zynische Typ zu sein, der in „Faserland“ zur Romanfigur wurde.
Der biographische Spaß ist in „Eurotrash“ grundsätzlich mit familiären Horrorgeschichten verbunden: So wird das Verhältnis von Mutter und Sohn in mal grotesken, mal bedrückenden Szenen beleuchtet. Etwa auf einer gemeinsamen Gipfeltour. Die Mutter möchte noch einmal ein Edelweiß sehen, das in der Natur vorkommt. Aber in der alpinen Höhe gibt es keine unberührte Natur mehr. Die Stimmung auf der Gondelfahrt zurück ins Tal wird noch schlechter, als der angewiderte Sohn den gefüllten Darmbeutel der Mutter wechseln muss.
Figurenpsychologische Tiefenbohrungen finden in diesem Roman ganz bewusst nicht statt
Erstaunlicherweise nutzt Kracht solche Szenen nicht, um den Konflikt auszubauen, um auf einen Wendepunkt zuzusteuern. Die Themen in diesem Roman, etwa der körperliche Niedergang, das Sterben, die Frage nach der Schuld, werden nur angetippt. Eine figurenpsychologische Tiefenbohrung findet ganz bewusst nicht statt. Die Distanz der Figuren zueinander soll gewahrt bleiben. Die Verletzlichkeit der Mutter scheint den Erzähler möglicherweise zu sehr an die eigenen Beschädigungen erinnern.
Die Mutter hat von dem, was der Sohn erleiden musste, „immer gewußt“, aber „aus Scham“ nicht darüber sprechen können, „es bei ihrem eigenen Kind nicht verhindert zu haben können“. Christian Kracht hatte den sexuellen Übergriff schon in seiner Frankfurter Poetikvorlesung erwähnt, woraufhin von literaturkritischer Seite gefragt wurde, ob Krachts Romane mit diesem Hintergrundwissen anders, nämlich autobiographischer zu lesen seien.
Der Großvater war Nazi, der Vater machte Millionengewinne mit Wertpapieren von Waffenherstellern
In „Eurotrash“ werden diese Erlebnisse keineswegs näher beleuchtet. Nach einmaligem Erwähnen wirken sie nur noch wie eine kaum hörbare, aber dunkle Begleitmusik. Ähnlich verfährt Kracht mit der Nazivergangenheit des Großvaters oder den Millionengewinnen des Vaters mit Wertpapieren von Waffenherstellern.
Mutter und Sohn heben Geld ab, um es zu spenden oder Wildfremden zu schenken
Wenn der Erzähler seine Familie auf die Anklagebank setzt, werden die Sätze länger und gedrechselter, entwickeln sich aus den Plaudereien erstaunlich hasserfüllte Beschwörungsformeln. Manche Formulierungen hören sich an, als kämen sie aus Thomas Bernhards Familien-Zerstörungsroman „Auslöschung“.
So gehen Mutter und Sohn zur Bank, heben viele tausend Franken ab, um sie zu spenden oder Wildfremden zu schenken. Aber auch diese Pläne scheitern, der Wind holt sich die Scheine in einem überraschenden Moment. Womit immerhin ein Ziel erreicht ist, nämlich das schmutzige Geld des Vaters zu vernichten.
Die Reisenden unterhalten sich noch eine Weile über „Theorien zur Verschwendung des Geldes“ – und die Fahrt geht weiter.
„Eurotrash“ ist ein Metaroman, der sogar die naheliegende Kritik einbaut
Dem Genre des literarischen Roadmovies vermag der Roman, der sich schließlich von einem gescheiterten Dialog zur nächsten Anekdote schleppt, leider keine neuen Facetten abzugewinnen. Wenn Langeweile aufzukommen droht oder die Mutter allzu sehr mit sich hadert, bittet sie ihren Sohn, doch wieder etwas zu erzählen. „Wahrheit oder Fiktion“, will der Sohn dann wissen. Aber das ist der Mutter egal. „Du erzählst das so spannend, als ob es wahr wäre“, sagt sie.
„Eurotrash“ ist ein Metaroman, der sich nach allen Seiten absichert und sogar die naheliegende Kritik einbaut. Der Taxifahrer meint nach der Reise, er könne einen Roman über seine Gäste schreiben, aber die Mutter widerspricht:
Es fallen Namen berühmter Schriftsteller, aber eine lohnende Unterhaltung über Literatur gibt es nicht
Was wiederum gelogen ist, denn es „passiert“ sehr wohl etwas, aber eben nicht gerade viel. Das plotlose Erzählen wird aber keineswegs durch andere literarische Momente wettgemacht, die über den selbstgesteckten Rahmen hinausgehen.
Christian Kracht baut in die Gespräche seiner Figuren zwar immer wieder berühmte Schriftstellernamen ein. Flaubert, Greene, Nabokov werden erwähnt, aber es bleibt beim Namedropping. Eine lohnende Unterhaltung über Literatur entwickelt sich nicht.
Während der Erzähler in „Faserland“ am Schluss das Grab von Thomas Mann sucht, fahren Mutter und Sohn in „Eurotrash“ zum Genfer Friedhof, wo sie die letzte Ruhestätte von Jorge Luis Borges vermuten. Als wäre dieser Verweis nicht offensichtlich genug, muss die Mutter auch noch fragen, ob so nicht der erste Roman des Sohnes ende, woraufhin der prompt antwortet: „Ja, aber das war fiktiv. Dies hier ist echt.“
Zwei Tüten als Symbole: in einer ist Geld, in der anderen Kot
Der Roman macht seinem Titel alle Ehre, denn in „Eurotrash“ verwandelt Kracht wirklich jeden Gedanken in sprachlichen Müll: Zwei Abfalltüten sind die großen Symbole dieses Romans. Der Plastikbeutel, in dem das bald wertlose Geld herumkutschiert wird, und der Darmbeutel der Mutter, der sich viel zu schnell füllt. Am Ende steht der Tod, der sich zumindest für die alte Dame als Traumland erweist.
Die Lektüre dieser morbiden Reisegeschichte, die herkömmliche Erzählweisen parodiert und bekannte Identitätsmuster in Familienromanen zu dekonstruieren versucht, lässt allerdings eine schreckliche Leere entstehen. Die Reprise des Erfolgsromans wird die Kracht-Fans begeistern, bestimmt neue Doktorarbeiten möglich machen. Die Mischung von Belanglosigkeiten und pathetisch vorgetragenen Wegmarken im Leben des Erzählers werden manche „phänomenal“, die zahlreichen Verweise in „Eurotrash“ auch auf andere Romane des Autors vermutlich „kunstvoll“ nennen.
Die Adjektivorgien Krachts wirken selbst als Eigenzitat eher unbeholfen
Dabei offenbart diese Prosa die bekannten Schwächen des Autors, die sich gewiss auch als Stärken verkaufen lassen. Oder eben als literarische Karikatur. Die sich wiederholenden Adjektivorgien, die längst zum Markenkern Krachts gehören, wirken selbst als Eigenzitat eher unbeholfen. Und der Manufactum-Stil mit allerlei altmodischen Phrasen in vorgestriger Rechtschreibung wirkt auf ungute Weise aus der Zeit gefallen.
„Eurotrash“ bietet nur wenig Neues aus dem Krachtkosmos
Warum und auf welche Weise die Verkäuferinnen von Realität und Sinn durchdrungen erschienen, wird nicht erklärt, aber irgendwie hört es sich schön verschwurbelt an. Sätze wie diese gibt es viele in dem Roman, der unterm Strich vor allem inhaltlich nur wenig Neues aus dem Krachtkosmos bietet: Das affektierte Herumkreisen ums eigene Werk und Leben ist leider auf die Dauer ermüdend.