Für die 30-köpfige Jury der Literaturkritikerinnen und Literaturkritiker aus dem gesamten deutschsprachigen Raum steht fest: Die Schriftstellerin Ronya Othmann hat mit „Vierundsiebzig“ das Buch des Jahres der SWR Bestenliste 2024 geschrieben. Der erschütternde Roman sei inhaltlich wie literarisch ein herausragendes Werk der „Geschichtsschreibung, teilnehmenden Beobachtung und Genozidforschung“.
Auf dem alljährlichen Treffen der Literaturkritikerinnen und Literaturkritiker in Baden-Baden hat die Jury der SWR Bestenliste den Roman „Vierundsiebzig“ der 1993 in München geborenen Schriftstellerin Ronya Othmann zum Buch des Jahres der SWR Bestenliste 2024 gewählt. Die erstmals vergebene Auszeichnung ist undotiert und wird nach einem zweistufigen Verfahren von den 30 Mitgliedern der Bestenliste-Jury entschieden.
Longlist mit zehn Titeln, die 2024 auf einer Bestenliste standen
Vor der Jury-Sitzung hatten die Kritiker und Kritikerinnen eine Longlist mit zehn Titeln gewählt, auf der neben dem ausgezeichneten Roman von Ronya Othmann Werke von Agi Mishol, Clemens Meyer, Wolf Haas, Reinhard Kaiser-Mühlecker, Paul Lynch, George Saunders, Percival Everett, Marlen Haushofer, Marion Poschmann standen. Voraussetzung für die Wahl auf die Longlist war der Platz auf einer Bestenliste im laufenden Jahr.
Die Jurybegründung – Worte für das Unfassbare
Die Jury der SWR Bestenliste begründete ihre Entscheidung nicht nur mit der thematischen Bedeutung des Romanstoffs, sondern auch mit der literarischen Qualität des Werks:
„Das Volk der Jesiden wird seit Jahrhunderten verfolgt. ‚Vierundsiebzig‘ hat Ronya Othmann deshalb ihren Roman genannt, nach dem 74. Völkermord 2014 durch den sogenannten IS. Die Tochter einer Deutschen und eines jesidisch-kurdischen Vaters will Zeugnis ablegen von diesem Menschheitsverbrechen und ringt zugleich damit, Worte zu finden für das Unfassbare. Ihr Roman ist Geschichtsschreibung, teilnehmende Beobachtung und Genozidforschung zugleich. Die Selbstreflexion der Erzählerin, die angesichts der existentiellen Ausweglosigkeit unentwegt relativiert, reflektiert und revidiert, verleiht dem Werk seine brisante Literarizität. Dafür wird ‚Vierundsiebzig‘ als Buch des Jahres der SWR-Bestenliste 2024 ausgezeichnet.“
Sprachlosigkeit ist „Teil des Textes“
Ronya Othmann schreibt in „Vierundsiebzig“:
Eigene Recherchen und Erfahrungen, aber jenseits der Autofiktion
Ronya Othmann wuchs als Tochter eines kurdisch-jesidischen Vaters und einer deutschen Mutter in Bayern auf. Die Familie ihres Vaters stammt aus der Nähe von Tirbespi im kurdischen Siedlungsgebiet in Syrien. In ihrer Kindheit reiste die Schriftstellerin regelmäßig zu den Verwandten in ein jesidisches Dorf im Norden Syriens, das inzwischen nicht mehr existiert.
Ronya Othmann – Vierundsiebzig
Schon in ihrem Debütroman „Die Sommer“ hat Othmann die Erfahrungen und Erlebnisse der Familiengeschichte verarbeitet. Auch in ihrem zweiten Roman „Vierundsiebzig“, aus dem Othmann unter anderem auch bei Bachmannwettbewerb in Klagenfurt las, geht sie noch einen Schritt weiter und entwickelt aus einem Konvolut erschütternder Recherchen und Augenzeugenberichten ein literarisches Grundsatzwerk, immer auf der Suche nach einer Sprache für Taten, die sprachlos machen.
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Buchkritik Ronya Othmann - Die Sommer
Ronya Othmann erzählt in ihrem Debüt von der Zerrissenheit eines jesidischen Mädchens, das in Deutschland aufwächst, deren familiäre Wurzeln aber im kurdischen Teil Syriens liegen. Sommer für Sommer besucht Leyla die väterliche Verwandtschaft, die erst vor den Truppen Assads, dann vor den Schergen des IS fliehen muss. Ein politisch relevanter Text, leider erzähltechnisch überfrachtet.
Rezension von Carsten Otte.
Hanser Verlag
ISBN 978-3-446-26760-2
295 Seiten
22 Euro
Kulturmedienschau Kontroverse und Auswirkungen um Ronya Othmann beim Literaturfestival in Karachi | 20.02.2024
Die Berliner Schriftstellerin Ronya Othmann wurde während ihrer Reise zum Literaturfestival in Karachi Ziel einer viralen Hetzkampagne. Kritisiert für ihre Kommentare über den Hamas –
Terror und Berliner Feierlichkeiten, wurde sie von 200 pakistanischen Literaten und Künstlern als Zionistin und Islamophobin bezeichnet, was zur Streichung ihrer Auftritte führte. Diese Vorfälle verdeutlichen die Gefahren, die solche Labels in muslimischen Ländern bergen, und zeigen, wie soziale Medien genutzt werden, um international gegen Personen zu hetzen, unabhängig von ihrem literarischen Werk.
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Diskutiert wird über folgende Bücher:
Platz 1: Clemens Meyer: Die Projektoren
Platz 2: Eva-Maria Leuenberger: die spinne
Platz 3: Simone de Beauvoir: Die Mandarins von Paris
Platz 5: Jana Volkmann: Der beste Tag seit langem