In den USA sind Schusswaffen allgegenwärtig, immer griffbereit, und entsprechend oft kommen sie zum Einsatz. An die 40.000 Tote im Jahr sind das bittere Resultat. Wie kam es dazu, was ließe sich dagegen tun? Das fragt Paul Auster in seinem Essay „Bloodbath Nation".
Am 26. Oktober 1881 erschossen Wyatt Earp und seine Brüder in ihrer Funktion als Gesetzeshüter drei Banditen, die sich geweigert hatten, für den Aufenthalt in Tombstone ihre Waffen abzugeben. Der Showdown wurde als Schießerei am O.K. Corral zu einem Western-Mythos und sein Schauplatz zur Touristenattraktion.
Eine verwilderte Gegenwart
Doch obwohl solche Ereignisse zu den Urszenen der amerikanischen Waffenkultur zählen, waren sie nichts im Vergleich mit der Gegenwart. In seinem langen Essay „Bloodbath Nation", in dem Paul Auster das Problem des ausufernden Waffenbesitzes in den USA von vielen Seiten beleuchtet, stellt der Autor fest, dass es im Wilden Westen viel weniger blutig zuging als heutzutage:
Heute dagegen sind die Kontrollen dürftig, die Feuerkraft hat immens zugenommen und der Blutzoll ist ungeheuer angewachsen. Von den jährlich rund 40.000 Todesfällen durch Schussverletzungen gehen über die Hälfte auf Selbstmord zurück, der andere Teil wird durch Morde und Polizeigewalt verursacht. Die größte Aufmerksamkeit zieht der nihilistische Horror von Amokläufen auf sich, der Menschenleben genauso wie jeden Sinn vernichtet. Das unterstreichen die zahlreichen Schwarzweißfotos im Buch, mit denen Spencer Ostrander die Schauplätze vieler mass shootings als Orte beklemmender Leere dokumentiert. Nicht wenige der Gebäude wurden später abgerissen.
Große Fragen, viele Facetten
Die große Frage, die Auster in diesem Buch sich selbst, seiner Leserschaft und dem ganzen Land stellt, lautet:
Auster trägt viel Material zum Waffenproblem der Amerikaner zusammen: Zahlen, historische Informationen, juristische Betrachtungen und zahlreiche Rückblicke auf einige der spektakulärsten Fälle, zum Beispiel das Massaker eines 64-jährigen 2017 in Las Vegas mit 60 Toten und 413 Verletzten.
Er selbst, so bekennt der Autor, habe nie eine Schusswaffe besessen. Seine Großmutter allerdings schon, und die erschoss damit, was in der Familie lange beschwiegen wurde, im Affekt ihren Ehemann.
Kluge Gedanken, doch keine Lösungen in Sicht
Austers Darlegungen zur Sache sind klar und einprägsam, anekdotische Wahrnehmungen, Erinnerungen und Ereignisse werden erzählerisch knapp aber eindringlich vorgestellt. Doch obwohl der Autor nach Kräften versucht, Lösungsperspektiven herbei zu argumentieren, erweist sich die realexistierende Misere als übermächtig. Ein abschließender Rundblick über die von Krisen aller Art zerrissene amerikanische Gesellschaft und Politik verheißt nichts Gutes. Auster schreibt:
Wer dieses Buch liest, erfährt Vieles und Entscheidendes über das uramerikanische Problem mit den Waffen. Allerdings gehört dazu auch eine sehr bittere Erkenntnis: dass nämlich Lösungen zwar denkbar sein mögen, aber der einmütige Wille dazu offenbar nicht herzustellen ist.
Mehr Literatur von Autor Paul Auster
Buchkritik Paul Auster – Baumgartner
Paul Austers „Baumgartner“ ist ein schmaler Roman über Verlust, Trauer, Liebe und Schreiben – und über die kleinen Dinge, die uns trotz allem durchhalten lassen.
Buchkritik Paul Auster - Mit Fremden sprechen
In seiner jüngst erschienenen Essay-Sammlung Mit Fremden Sprechen feiert Paul Auster die Literatur und die Autoren. Ein kluges Buch, meint Rezensent Michael Au.
Buchkritik Paul Auster – In Flammen. Leben und Werk von Stephen Crane
Paul Auster ist fasziniert von Leben und Werk des Schriftstellers Stephen Crane und hat ihm diese Biografie gewidmet. Crane gilt als einer der Pioniere der modernen amerikanischen Literatur und wurde 1895 mit seinem Kriegsroman „Die rote Tapferkeitsmedaille“ berühmt. Ein Autor, der für’s Schreiben brannte, dessen Leben aber schon früh erlosch. Paul Austers „In Flammen“ ist eine etwas ausufernde Hommage an ihn.
Rezension von Eberhard Falcke.
Leben und Werk von Stephen Crane
Aus dem Englischen von Werner Schmitz
Rowohlt Verlag, 1184 Seiten, 34 Euro
ISBN: 978-3-498-00167-4
Mehr Literatur zu US-Politik
Neuübersetzung des Romans von 1984 „Die Schattenräume der amerikanischen Politik“: Joan Didions „Demokratie“
Ein Roman über politische Schattenräume, sprachlich präzise geschrieben und mit brisanter Aktualität im Kontext des US-Wahlkampfs. Antje Rávik Strubel über ihre Neuübersetzung.
lesenswert Feature Der Autor Jeffrey Eugenides und die amerikanische Seele
Autor Jeffrey Eugenides spricht über seine Hinwendung zum Katholizismus und die Rolle der Literatur in politisch aufgeladenen Zeiten.
Von Beatrice Faßbender und Ulrich Rüdenauer | SWR/WDR 2024
SWR2 lesenswert Kritik Paul Auster und Spencer Ostrander – Bloodbath Nation
In den USA sind Schusswaffen allgegenwärtig, immer griffbereit, und entsprechend oft kommen sie zum Einsatz. An die 40.000 Tote im Jahr sind das bittere Resultat. Wie kam es dazu, was ließe sich dagegen tun? Das fragt Paul Auster in seinem Essay „Bloodbath Nation".
Aus dem Englischen von Werner Schmitz
Rowohlt Verlag, 192 Seiten, 26 Euro
ISBN 978-3-498-00323-4