Was gilt warum als „hässlich“? Und wieso folgen Frauen bestimmten Schönheitsidealen, um gerade nicht „hässlich“ zu sein: wieso entfernen sie Körperhaare oder lassen sich ihre Nase oder die Brüste operieren? Um diese Fragen zu beantworten, zieht die Kuratorin und Künstlerin Moshtari Hilal wissenschaftliche Artikel heran, stellt historische Bezüge her und nimmt uns mit auf eine Reise durch ihre eigene Biografie, in der sie selbst Ausgrenzung und Rassismus aufgrund ihres Aussehens erfahren musste.
Schiefe Zähne, langes Gesicht?
Moshtari Hilal eröffnet ihr Buch mit einer Erfahrung in der Schule. Der Schulfotograf fordert die damals Vierzehnjährige zu einem Lächeln auf. Später blickt sie auf die Passfotos, die Beschreibung von A. – einem Mitschüler oder einer Mitschülerin – schießt ihr durch den Kopf: „Schiefe Zähne, langes Gesicht, große Nase.“
Es wird klar, dass es sich bei „Hässlichkeit“ um ein erzählerisches und autobiografisches Sachbuch handelt – geprägt von sozialen Machtverhältnissen und vom Kampf gegen den eigenen Körper.
Persönliches Leiden unter westlichen Schönheitsidealen
Hilal führt ihre persönlichen Erfahrungen mit wissenschaftlichen Schriften zusammen. Dabei beschreibt die Autorin, wie sie selbst unter Schönheitsidealen gelitten hat und macht sich auf die Suche, wie diese Normen entstanden sein könnten. Einmal erzählt sie, wie sie als Kind ein großes Philosophiebuch mit eigenen Interessen ergänzte:
Das, was dem jungen Teenager Moshtari Hilal in Mode- und Lifestyle-Magazinen als Norm von Schönheit und Stil begegnete, prägte auch ihre eigenen ästhetischen Ideale. Auf der Suche nach sich selbst bastelte sie ihr eigenes Nachschlagewerk. Auch ihr aktuelles Buch über „Hässlichkeit“ ist eine Art Sammlung geworden, jedoch eine, die ihr Umfeld und die geltenden Normen reflektiert.
Hoffnung auf sozialen Aufstieg durch Anpassung
Durch die in den Medien omnipräsente Darstellung bestimmter Schönheitsideale wurde der Autorin das Gefühl vermittelt, anders zu sein und nicht dazuzugehören. Sie sah sich gezwungen, „die kollektiven Vorbilder imitieren“ – nur so konnte sie sich einen sozialen Aufstieg erhoffen. Sehr plastisch beschreibt sie, wie bestimmte Ideale sie auch schlicht überforderten:
Die Anpassung hat ihre Folgen: Hilal verweist auf den antikolonialen Philosophen Frantz Fanon, der bereits 1952 die psychologischen Auswirkungen der Assimilation in den französischen Kolonien untersucht hat. Die unterdrückenden Herrscher haben ihr Weißsein zum Ideal erhoben. Dabei sind die Wörter schön und weiß ebenso verschmolzen wie schwarz und hässlich.
Die Unterdrückten verinnerlichen einen Selbsthass, weil sie lernen, den Blick der weißen Unterdrücker zu übernehmen. „Hässlichkeit ist bei Fanon das Trauma, in einem Körper leben zu müssen, den man zu hassen lernt“, schreibt Hilal. In der Auswahl solcher Verweise liegt eine große Stärke des Buchs: Die Verbindung mit persönlichen Erfahrungen macht ihre historischen Ausflüge greifbar und eindringlich. Dabei schreibt sie prägnant und legt verborgene Strukturen offen.
Der Mensch steht unter permanentem Optimierungsdruck
Das zweite von fünf Kapiteln trägt den Titel „Nasal Analysis“ – etwa „Nasenanalyse“. Hier wird eine weitere Stärke des Buchs deutlich: Obwohl auf Studien und historische Hintergründe verwiesen wird, ist die Lektüre alles andere als abstrakt: Das zeigt auch die Passage über Jaques Joseph. Der deutsche Arzt gilt als Pionier der Plastischen Chirurgie und arbeitete an Gesichtsrekonstruktionen von Kriegsversehrten.
Bereits vor der Jahrhundertwende führte er Nasenkorrekturen an gesunden Menschen durch und verkündete, dass ein gesunder Mensch durch seine Nasenoperation ein Mehr an Lebensfreude erlangen würde. Weil Krankheiten oder Kriegsverletzungen allmählich zurückgingen, mussten neue, eher ideologische denn medizinische Gründe für die Eingriffe gefunden werden, schreibt Hilal.
Moshtari Hilal schafft es, einen großen Bogen zu spannen und mit ihren biografischen Erfahrungen konkrete Bezüge herzustellen. „Hässlichkeit“ ist ein scharfsinniges Buch, das den Blick zum Thema Schönheitsideale weitet, ohne dabei den Faden zu verlieren.
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