Man fürchtet ihren Stachel und weiß ansonsten wenig von ihr: der Wespe, der verhassten Antipodin der geliebten Honigbiene. Höchste Zeit für ein freundliches Portrait der gelb-schwarzen Hautflügler. Der Biologe und Wespenforscher Michael Ohl hat es in der Reihe der „Naturkunden" bei Matthes & Seitz geschrieben.
Oft porträtieren die Bücher der „Naturkunden“-Reihe animalische Sympathieträger, etwa Füchse oder Esel. Besonders interessant aber sind jene Bände, die von Tieren handeln, die eher mit Verwünschungen bedacht werden. Der Biologe Michael Ohl widmet sich nun jenen Stachelbiestern, die schon manche Outdoor-Kuchenesser-Runde zur Verzweiflung getrieben haben: den Wespen. Besonders nachhaltig wird der Ärger, wenn sich plötzlich ein Wespennest unterm Dach oder im Rollladenkasten findet. Wespen mögen die Nähe der Menschen, wegen des guten Nahrungs- und Nestbau-Angebots.
Das beruht allerdings nicht auf Gegenseitigkeit. Wespen firmieren als das anarchisch-wilde Gegenüber der zahmen Honigbiene. Viel gepriesen wird die fleißige und nützliche Nektarsammlerin, deren Staatenbau bisweilen sogar als Ideal sozialer Organisation empfohlen wurde. Wespen dagegen gelten seit je als trouble maker und Schädlinge. Meist treten sie in Form der „Wespenplage“ publizistisch in Erscheinung. In Waldemar Bonsels Roman „Die Biene Maja“ heißt es mit sozialdarwinistisch-rassistischen Untertönen: „Die Wespen sind ein unnützes Räubergeschlecht ohne Heimat und Glauben … sie stehlen und morden, wo sie können.“
Wespen gehören zu den Hautflüglern, einer der vier Hauptgruppen der Insekten, die sozusagen alles umfasst, „was hinten sticht“. Stechen tun allerdings nur die Weibchen, denn es ist der Eilegeapparat, der sich evolutionär zur Waffe weiterentwickelt hat. Während Bienen nach dem Stich sterben, kann die Wespe ihren Giftstachel immer von neuem einsetzen.
Man lernt eine Menge in Ohls Buch: Etwa, dass die sogenannte Wespentaille ein Missverständnis ist. Sie trennt nicht den Brustteil vom Hinterleib, sondern das erste vom zweiten Hinterleibssegment und dient der besseren Beweglichkeit beim Stechen. Gestochen werden aber nicht nur Menschen beim Picknick, sondern vor allem die Beute. Während die ausgewachsene Wespe sich von Süßem und Nektar ernährt, sind die Larven Fleischfresser und wollen mit proteinreichen Massen von Insekten gefüttert werden. Wer ein Wespennest im Garten hat, verfügt also über ein effektives Insektenjagdgeschwader, das unzählige Fliegen und Mücken erlegt. Ohl sieht eine große Zukunft der Wespen in der biologischen Schädlingsbekämpfung.
Auch als Nahrung bieten sie großes Potential. In China sind Wespenpuppen wegen ihres hohen Gehalts an Proteinen und Aminosäuren das Insekten-Streetfood Nummer eins. Die Hauptdienstleistung der Wespen für das Ökosystem aber bleibt die Bestäubung von Pflanzen, eine Aufgabe, die sie an die Bienen weitergegeben haben.
Gelb-schwarze Absperrbänder warnen weltweit vor Hochspannung. Die Wespenfärbung ist zu einer universalen Sprache der Gefahr geworden. Im Tierreich wird sie oft erfolgreich kopiert von Signalbetrügern, die eigentlich völlig harmlos sind, sich aber durch gelb-schwarze Mimikry Respekt und Schutz verschaffen, wie die Schwebfliegen. Hat keinen Stachel, tut aber so.
Michael Ohl schildert seine eigenen Wespenforschungen und durchstöbert die Kunstgeschichte nach Wespenbildern. Er beschäftigt sich mit evolutionsbiologischen Aspekten wie dem scheinbar paradoxen Altruismus der Arbeiterinnen, die keinen eigenen Nachwuchs produzieren. Er untersucht die Papierbaukunst und die Intelligenz der Wespen und berichtet von kuriosen Versuchen, sie zu zähmen. Am Ende stellt er diverse Wespenarten vor: von der mächtigen, aber für Menschen meist ungefährlichen Hornisse bis zur Orientalischen Mauerwespe, die im Zuge des Klimawandels nach Europa einwandert. Sein schön illustriertes Buch hat einen guten Nebeneffekt. Anstatt nach der lästigen Wespe zu schlagen, beobachtet man sie fortan lieber mit wissendem Blick.
Matthes & Seitz Verlag, 136 Seiten, 22 Euro
ISBN 978-3-7518-0225-3