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Martin Schulze Wessel – Der Fluch des Imperiums. Die Ukraine, Polen und der Irrweg in der russischen Geschichte

Stand
Autor/in
Judith Leister

In seiner Studie "Der Fluch des Imperiums" verfolgt der Historiker Martin Schulze Wessel den Aufstieg Russlands zum europäischen Imperium - und nennt das dazugehörige wirkmächtige Narrativ einen Irrweg.

In seinem Buch „Der Fluch des Imperiums. Die Ukraine, Polen und der Irrweg in der russischen Geschichte“ verfolgt der Historiker Martin Schulze Wessel die imperiale Geschichte Russlands über 300 Jahre und zeichnet sie exemplarisch als Dreiecksgeschichte – verbunden mit zwei Ländern, deren Existenz von Russland immer wieder bedroht wurde: Polen und die Ukraine.

Im 18. Jahrhundert steigt Russland zum europäischen Imperium auf

Seit dem Sieg Peters des Großen 1709 bei Poltawa im Großen Nordischen Krieg konnte sich Russland immer neue Gebiete im Westen aneignen und konstituierte sich so als europäisches Imperium. In Peters Fußstapfen trat 1762 Katharina, die ebenfalls den Beinamen „die Große“ erhielt. Die Zarin verfolgte ihre Großmachtphantasien mit dem sogenannten „griechischen Projekt“, welches das orthodoxe Zarenreich in die direkte Nachfolge des Byzantinischen Reiches, also Ostroms, stellte.

Die von Katharina vorangetriebene Gründung neuer russischer Provinzen hatte 1764 das Ende des teilautonomen ukrainischen Hetmanats zur Folge. Der Russe Grigori Teplow, Sekretär der Zarin und Akademiemitglied, argumentierte damals mit Bezug auf die Kiewer Rus und gegen die ukrainischen Eliten, dass das sogenannte „Kleinrussland“, also die Ukraine, seit je her russisch gewesen sei. Auch Katharinas Annexion der Krim im Jahr 1783 folgte einer imperialen Logik.

Im 20. Jahrhundert löst die Ukraine das Thema Polen für Russland ab

Polen bzw. die polnisch-litauische Adelsrepublik sei bereits im Zuge des Großen Nordischen Kriegs „de facto zu einem russischen Protektorat geworden“, so Schulze Wessel. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde das Land zwischen Preußen und Russland aufgeteilt, was zu wiederkehrenden polnischen Aufständen führte.

Erst 1918, nach Revolution und Erstem Weltkrieg, kehrte Polen als souveräner Nationalstaat auf die europäische Landkarte zurück. Wie Schulze Wessel betont, löste im 20. Jahrhundert die Ukraine das Thema Polen als größte Herausforderung für Russland ab.

Vor allem bei ihrer kurzzeitigen Nationalstaatsgründung 1918 und in der Stalinära stellte die Ukraine in den Augen des Kreml eine Gefahr für das Imperium dar. Dies galt erst recht, nachdem sich das Land 1991 von Russland löste. Der polnisch-amerikanische Politologe und Regierungsberater Zbigniew Brzeziński sagte 1994 spitz: „Ohne die Ukraine hört Russland auf, ein Imperium zu sein.“

Auch intellektuelle Eliten folgten dem imperialen Kurs Russlands

Schulze Wessel weist nach, dass auch die russischen intellektuellen Eliten dem imperialen Kurs folgten. Eine frühe Spur dieses Denkens findet sich in Alexander Puschkins Gedicht „An die Verleumder Russlands“. Darin schrieb der russische Nationaldichter mit Blick auf den polnischen Novemberaufstand von 1830: „Werden die slawischen Flüsse im russischen Meere sich einen,/ Wird es austrocknen? Das ist die gewichtige Frage!“

Russland wurde so zum heiligen Bewahrer und Anführer der slawischen Traditionen. Den mit Polen sympathisierenden und von Napoleon besiegten Westeuropäern gebot Puschkin in dem Gedicht dagegen, sich nicht einzumischen, und unterstellte ihnen Russophobie.

Schulze Wessels Buch beeindruckt, weil es trotz seiner Detailfülle die große Linie bis hin zur Gegenwart nicht aus dem Blick verliert. Statt nur auf die Person Putins zu fokussieren, wird Schritt für Schritt die Genese des imperialen Narrativs in der russischen Politik und Kultur erzählt. In der Tat ein verhängnisvoller Irrweg, der in Russland jedoch nach wie vor große Popularität zu besitzen scheint.

Ein Jahr Krieg in der Ukraine: Annäherung in unerreichbarer Ferne

In den frühen Morgenstunden des 24. Februar 2022 erklärt Russlands Präsident Vladimir Putin der Ukraine den Krieg. Wenig später werden aus Kiew die ersten Bombeneinschläge gemeldet. Seit einem Jahr wütet der Krieg in der Ukraine, Millionen Menschen befinden sich auf der Flucht, eine friedliche Lösung scheint in weiter Ferne.

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Judith Leister