Eine kolumbianische Familie, die in den 1960er Jahren im maoistischen China lebt und später in Kolumbiens Guerilla-Bewegung kämpft. Es ist die Familie Sergio Cabreras, der heute ein bekannter Filmregisseur ist. In diesen Jahren voller Gewalt und Entbehrungen verliert er viele Illusionen. Von der wahren und abenteuerlichen Geschichte der Familie Cabrera erzählt Juan Gabriel Vásquez in seinem neuen Roman „Wenn es an Licht fehlt".
Der Roman Wenn es an Licht fehlt beginnt damit, dass der Regisseur Sergio Cabrera zu einer Retrospektive seiner Filme eingeladen wird. Das hat Symbolkraft. Denn darum geht es im neuen Buch von Juan Gabriel Vásquez: um die Rückschau. Volver la vista atrás – den Blick zurück richten – lautet der spanische Originaltitel des Buchs. Sergio Cabrera, geboren 1950, gibt es wirklich. Der Autor hat ihn zu seiner Hauptfigur gemacht. Kurz bevor der Regisseur im Roman in Barcelona eintrifft, wo die Retrospektive stattfindet, erfährt er vom Tod seines Vaters. Sergio beschließt, der Beerdigung in Kolumbien fernzubleiben, um – wie geplant – an der Filmschau in Barcelona teilzunehmen und dort außerdem seinen in Spanien lebenden Sohn zu treffen.
Die Cabreras: eine Familiengeschichte mit langen Rückblenden
Die Begegnung mit dem 18-Jährigen, der von der Familiengeschichte kaum etwas weiß, die Beschäftigung mit den eigenen Filmen und der Tod des Vaters, eines bekannten Schauspielers, lassen Cabrera in den kommenden Tagen tief in seine bewegte Vergangenheit eintauchen. Lange Rückblenden sind das Stilmittel, zu dem der Autor greift, um die abenteuerliche, komplexe und hochpolitische Geschichte der kolumbianischen Familie Cabrera zu erzählen: einer Familie von Künstlern und Guerilleros. Es sei vorweggenommen, dass das Leben hier einen faszinierenden Stoff zur Verfügung gestellt hat, den Vásquez literarisch höchst spannend umsetzt.
Im Mittelpunkt steht Sergio Cabrera, der Regisseur. Aber es geht auch um seine Schwester Marianella, den Vater Fausto und die Mutter Luz Elena. In seinem Nachwort spricht Juan Gabriel Vásquez von einem „fiktiven Werk, in dem es keine erfundenen Episoden gibt“. Denn das Buch basiert auf langen Interviews des Autors mit Sergio Cabrera und seiner Schwester. Dass die Geschichte sich tatsächlich wie ein Roman liest und nicht wie eine Biografie, liegt daran, dass Vásquez sich tief und gründlich hineingearbeitet hat in seine Figuren und in die Schauplätze.
Kolumbianer in der chinesischen Kulturrevolution
So lernen wir zunächst das Leben von Fausto Cabrera kennen, eines spanischen Republikaners, der vor Franco nach Kolumbien flieht. Er wird dort Schauspieler, baut das Fernsehen mit auf bis sein Leben noch einmal eine ganz andere Wendung nimmt: Fausto geht als Experte nach China, erlebt dort in den 1960er Jahren die Kulturrevolution mit und wird zu einem überzeugten Maoisten. Seine Kinder werden tief geprägt durch das Leben in Maos China; sie erhalten sogar eine militärische Ausbildung. Ihre Bestimmung gibt der Vater vor: Sergio und Marianella sollen in Kolumbien in den kommunistischen Untergrund gehen.
Und so geschieht es dann auch: Nach und nach kehrt die ganze Familie in ihr konservatives Heimatland mit seinem ungerechten Klassensystem zurück, die Geschwister schließen sich einer bewaffneten maoistischen Guerilla-Gruppe an. Vater Fausto geht denselben Weg. Und selbst die Mutter, die aus einer bürgerlichen Familie stammt, spielt eine zentrale Rolle im Untergrund. Für ihre Aktivitäten zahlt die Familie einen hohen Preis und trifft sich erst nach Jahren wieder – um viele Illusionen ärmer. Juan Gabriel Vásquez hat am Beispiel der Cabreras eine exemplarische Geschichte erzählt, die sich in den 1970er Jahren in vielen Teilen Lateinamerikas so oder so ähnlich zugetragen hat: eine Geschichte von politischem Idealismus, Fanatismus und Scheitern.
Auch die Kinder werden Guerilleros
Das Besondere an der Familie Cabrera ist: Sergio und Marianella werden nicht gegen den Willen der Eltern zu Guerilleros, wie viele andere aus ihrer Generation, sondern sie erfüllen damit den Traum des Vaters. Ihre eigenen Motive bleiben etwas blass im Roman – sei es, weil sie es es auch in der Wirklichkeit waren, sei es, weil es dem 1973 geborenen Autor schwerfiel, sich in Sergios und Marianellas aufständisches Handeln komplett einzufühlen. Vielleicht ist das auch der Grund dafür, dass Vásquez‘ gewandte, schnörkellose Sprache manchmal etwas zu glatt wirkt für die dramatischen Ereignisse und Entscheidungen. Sergio jedenfalls lehnt sich erst dann gegen den übermächtigen Vater auf, als er beschließt, nicht erneut in China zu leben, sondern in Europa Film zu studieren. Auch, wenn man in Deutschland von den Cabreras noch nicht so viel gehört hatte – man möchte den Roman über diese außergewöhnliche Familie bis zum Ende nicht aus der Hand legen.