Hätte dieses Buch einen Soundtrack, bestünde der aus E-Gitarrenklängen, repetitiven Schlagzeugbeats und dröhnendem Gesang. „Gott hassen“ von Jenny Hval ist nämlich ein Metalroman. Dabei deckt die Norwegerin auf: Metal, Männer und Macht sind sich näher, als man auf den ersten Blick meint.
Die Anfänge von Black Metal waren in Norwegen
Sucht man nach den Anfängen des Black Metal, landet man im Norwegen der 1990er Jahre. Dort gründeten sich Bands wie Darkthrone oder Mayhem (Anmerkung der Redaktion: Die im Beitrag genannte Band "Hellhammer" stammt aus der Schweiz, nicht aus Norwegen. Mit der Figur "Hellhammer", die in Hvals Roman auftaucht, bezieht sie sich auf den norwegischen Schlagzeuger Jan Axel Blomberg, der unter dem Pseudonym "Hellhammer" bekannt ist. Er spielte unter anderem auch in der Band "Mayhem").
Insbesondere Mayhem avancierte zur Skandalband, weil sie nicht nur den Sound der Szene entscheidend prägten, sondern durch extreme Aktionen auffielen: Kirchenbrände, der Suizid des Sängers und sogar Mord gehören zur Bandgeschichte, weil Mayhems Bassist einen seiner Mitmusiker 1993 erstach.
In diesem Klima siedelt die norwegische Autorin Jenny Hval ihren Roman „Gott hassen“ an. Ihre namenlose Ich-Erzählerin fühlt sich von der rebellischen Bewegung angezogen. Black Metal und die konservativ-christliche, norwegische Gesellschaft bilden das ultimative Gegensatzpaar.
Jenny Hvals musikalische Sozialisation
Die biografischen Parallelen zwischen Hval und ihrer Erzählerin sind dabei unübersehbar. Die Autorin Jenny Hval ist selbst Musikerin, hat schon einige Alben veröffentlicht und wurde für ihre Stücke mehrfach ausgezeichnet.
Das Schreiben studierte sie in Melbourne und verfasste bisher drei Romane, von denen zwei ins Deutsche übersetzt wurden: „Perlenbrauerei“ und nun „Gott hassen“, ein Roman, der Einblick in ihre eigene musikalische Sozialisation bietet.
Ein Musikroman ist „Gott hassen“ allerdings trotzdem nicht.
Metalband verwandelt sich in Hexenzirkel
Der Widerstand ihrer Protagonistinnen wendet sich nicht nur gegen protestantische Regelkonformität, sondern gegen patriarchale Strukturen im Allgemeinen. Die Band, bestehend aus der Erzählerin, Therese und Venke, spielt nur ein einziges Konzert.
Das Trio begeistert sich vielmehr für Séancen und Rituale und ist fasziniert von Edvard Munchs Gemälde „Pubertät“, auf dem ein junges, nacktes Mädchen abgebildet ist.
Die Metalband der drei Mädchen verwandelt sich schließlich zum Hexenzirkel. Sie besuchen bizarre Kunstperformances und veranstalten einen Hexensabbat. Die Erzählerin schreibt zudem an einem Filmmanuskript. Das Thema des Films? Um Metal soll es gehen.
Ein Roman ohne Kitsch
Hval feiert die subversive Kraft des Black Metals, aber verkitscht ihn nicht. Sie zeichnet ein Bild der Bewegung, das den Sexismus und die Romantisierung des Nationalismus der Szene nicht verschweigt. Denn, das nimmt auch die Erzählerin in „Gott hassen“ wahr, die Black Metal Bewegung der 90er war eine Männerveranstaltung.
So verwebt Hval den persönlichen Rückblick mit einem „Was wäre wenn“: Was wäre, wenn Frauen genauso viel Anteil an der Entwicklung des Black Metal gehabt hätten? Was wäre, wenn sie auch hätten hassen dürfen?
Soziologischer Blick auf Macht, Sprache und Kunst
Diese Analyse der Verbindungen zwischen Metal und Machtmechanismen liest sich zuvorderst essayistisch. Mit soziologisch scharfem Blick spinnt Hval diese Verbindung immer weiter, zieht Parallelen zwischen Macht, Sprache, Kunst und Musik und arbeitet die Funktionsweisen der patriarchalen Maschinerie heraus.
Erst im zweiten Teil von „Gott hassen“ lässt Hval ihrer Fabulierlust gänzlich freien Lauf: Was wäre, wenn die Metal-Mädchen gegen die gesellschaftlichen Normen aufbegehrt hätten? Was wäre, wenn sie Hexen wären?
Für die Erzählerin und ihre Freundinnen Terese und Venke wird das Okkulte zum Werkzeug der feministischen Selbstermächtigung. Ihr Hexenzirkel entdeckt sein schöpferisches Potential: Aus Hass wird Kunst.
Surreale und traumartige Sequenzen
In vielen Szenen beschreibt Hval Riten, die auch Kunstperformances sein könnten, in denen Magie, Sex und Traum ganz nah beieinander liegen. Diese Beschreibungen lesen sich wie Auszüge aus einem feministischen Manifest, während sich an weiteren Stellen wiederum ein Stream of Consciousness voller Assoziationen entfaltet.
Genaue Erklärungen gibt die Erzählerin für diese surrealen und traumartigen Sequenzen nicht, spinnt sie aber immer weiter bis zu einem kuriosen Höhepunkt.
So kreiert Jenny Hval ein temporeiches Leseerlebnis, das mit jedem Umblättern überrascht und lustvoll das Bizarre zelebriert. Diese bunte Mischung überzeugt, weil die Autorin ihren Gedanken kunstvoll orchestriert. „Gott hassen“ ist ein Roman, der genauso vielschichtig und verworren ist wie ein Black-Metal-Song.
Jenny Hval: Blood Bitch – Live beim Art`s Birthday 2017
Art's Birthday 2017 Jenny Hval: Blood Bitch
Multidisziplinär und transgressiv sind Worte, die oft verwendet werden, um ihre Kunst zu beschreiben, aber Jenny Hvals polyphone Kunst ist in der Tat nahtlos zwischen musikalischen, literarischen, visuellen und performativen Ausdrucksformen verwoben.