In Chile hat Präsident Allende erstmals in Lateinamerika den demokratischen Sozialismus zu realisieren versucht. Doch sein Projekt scheiterte am Widerstand der vom CIA unterstützten politischen Rechten. Beim Militärputsch am 11. September 1973 kam Salvador Allende ums Leben. In seinem Buch gelingt es Günther Wessel, eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der Geschichte Lateinamerikas wieder lebendig werden zu lassen.
Bereits im 19. Jahrhundert gab es einen „roten Allende“: Ramón Allende Padín, den Großvater des späteren Präsidenten. Als rot wurde er wohl wegen seiner auffälligen Haarfarbe bezeichnet, aber sicher auch wegen seiner radikal liberalen politischen Überzeugung. Er war ein sozial engagierter Arzt und Freimaurer und kämpfte als Parlamentsabgeordneter für Bürgerrechte: in vieler Hinsicht ein Vorbild für Salvador Allende.
Weitverzweigte Familiengeschichte der Allendes in Chile
An diesen politischen Hintergrund der weitverzweigten Familiengeschichte der Allendes erinnert Günther Wessel ausdrücklich, denn nicht wenige ihrer Angehörigen haben das gesellschaftliche Bewusstsein der nächsten Generationen beeinflusst. Der 1908 in Valparaíso geborene Salvador Allende war wie sein Großvater Freimaurer, hat Medizin studiert, sich für sozialistische Organisationen engagiert und nebenbei Kurse in Sozialmedizin für Arbeiter gegeben.
Er wurde dann als Vertreter der Sozialistischen Partei ins Parlament gewählt, unternahm in den 1950er und 1960er Jahren drei vergebliche Anläufe als Präsidentschaftskandidat einer linken Parteienallianz und wurde schließlich mit Hilfe der Christdemokraten ins höchste Amt gewählt. Er war ein Sozialist und ein überzeugter Demokrat.
Günther Wessel beschreibt auch treffend, dass Salvador Allende zunächst nur die von seinem christdemokratischen Vorgänger Eduardo Frei begonnenen Reformen weiterentwickeln wollte, also die Nationalisierung des Kupferabbaus sowie die Land-, Bildungs- und Gesundheitsreform. Doch dann hat er dessen sog. „Blumentopfreformen“ zu einem konsequenten Projekt zugunsten des großen, unterprivilegierten, verarmten Teils der Bevölkerung gestaltet: seinem demokratischen Sozialismus.
Der demokratische Sozialismus Allendes und seine Gegner
Das widersprach natürlich vollkommen den Interessen der Großgrundbesitzer und Unternehmer, der herrschenden Oberschicht, und vor allem auch den USA. Sie wollten keinesfalls einen neuen „Brückenkopf des Kommunismus“ im Süden des Kontinents dulden, was auch gar nicht die Intention Allendes war – bei aller Sympathie für Fidel Castro. Sie unterliefen Allendes demokratischen Weg mit Hilfe ihres Geheimdienstes CIA, der z.B. die Unternehmerstreiks und die Terroraktionen rechter Paramilitärs finanzierte. Auch daran erinnert Günther Wessel ausführlich.
Außerdem rückt er die Haltung Bundesdeutschlands nach dem Putsch wieder ins Bewusstsein. Die sozialliberale Regierung und ihre Botschaft in Santiago, die von dem Staatsstreich vorab informiert worden waren, betrieben nämlich anfangs überhaupt keine flüchtlingsfreundliche Politik. Die bundesrepublikanische Rechte bejubelte sogar den Staatsstreich, und der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß ließ sich noch 1977 in Santiago die Ehrendoktorwürde der Rechtswissenschaft verleihen.
Einflussreiche Allende-Familie bis heute
Breiten Raum widmet der Autor der Großfamilie Allende und ihrem politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Einfluss seit dem 19. Jahrhundert bis heute. Nach dem Putsch von 1973 wurden die meisten Angehörigen ins Exil getrieben und mussten sich eine neue Existenz aufbauen. Viele von ihnen haben nach der Rückkehr wichtige Funktionen eingenommen, eine ist weltberühmt geworden: Isabel, die Nichte Salvador Allendes, wurde zur Bestseller-Autorin. Und eine andere der vielen starken Frauen, Maya Fernández Allende, steht heute als Verteidigungsministerin an der Spitze desselben Militärs, das für den Putsch gegen ihren Großvater verantwortlich war.
Eine faszinierende Geschichte Chiles hat der Autor in seinem erhellenden Buch aufgefächert. Es ist ihm gelungen, mit Salvador Allende eine der bedeutendsten Persönlichkeiten Lateinamerikas wieder lebendig werden zu lassen und auf sein großes Projekt des demokratischen Sozialismus aufmerksam zu machen. Denn bei Gabriel Boric, seinem jüngsten Nachfolger als chilenischer Präsident, steht es wieder auf der politischen Agenda, obwohl es dafür angesichts der schwierigen Verhältnisse wenig Chancen geben dürfte.