Ein furioser Abgesang auf das untergegangene, multiethnische Jugoslawien - so lässt sich Goran Vojnovićs Roman „18 Kilometer bis Ljubljana" zusammenfassen.
Wie in seinem Debütroman „Tschefuren raus!" erzählt da der slowenische Autor vom Leben der Einwanderer aus dem ehemaligen Jugoslawien in Slowenien, wo sie seit Jahrzehnten leben, aber nie angekommen sind. Ein Buch über Heimat- und Identitätsverlust und die Wut derjenigen, die daran keine Schuld tragen.
Kurze Sätze, in rasendem Rhythmus parataktisch aneinandergereiht. Ein innerer Monolog, der, mit Kraftausdrücken gespickt, nach Maschinengewehr klingt. Klaus Detlef Olof hat den Stil von Goran Vojnovic kongenial ins Deutsche übertragen. Sein neuer Roman „18 Kilometer bis Ljubljana“ erzählt auch klanglich von Gewalt. Vielleicht deshalb, weil dort einst ungeheure Gewalt stattgefunden hat? Der Roman spielt teils in Slowenien, teils in Bosnien, und der Bürgerkrieg, der vor einem Vierteljahrhundert dort wütete, hat sich dem Raum, den Einzelschicksalen und den Köpfen eingeschrieben. So jedenfalls bei Vojnović.
Heimatlos im slowenischen Fužine
Vordergründig erzählt „18 Kilometer bis Ljubljana“ davon, wie Marko Dordic, der Protagonist und Ich-Erzähler, nach Fužine zurückkehrt, eine Trabantenstadt bei Ljubljana, wo er aufgewachsen ist. Dorthin sind seine Eltern, beide bosnische Serben, vor dem Krieg geflohen. Heimisch wurden sie in Fužine nicht, aber zurück konnten sie auch nicht. Sie sind Tschefuren. Und seitdem es das multiethnische Staatsgebilde Jugoslawien nicht mehr gibt, sind Tschefuren heimatlos. Wie das Land zu Grunde ging, ist das Trauma, das sie alle noch im Griff hat. Selbst wenn sie wie Markos Eltern Radovan und Ranka sich am Krieg nicht beteiligt haben. Als Radovan an Krebs erkrankt und es klar wird, dass er nicht mehr lange leben wird, weiß Ranka, dass sie alleine in der slowenischen Fremde zurückbleiben wird. Marko kann ihr nicht lange beistehen. In Fužine trifft er zwei Kindheitsfreunde und stellt mit ihnen so viel Unfug an, dass er schließlich die Polizei am Halse hat und das Weite suchen muss. Dennoch: Wie sich die Liebe für die vom Leben ausgezehrten Eltern zwischen derben Schimpfwörtern Bahn bricht und sogar gerade dadurch Ausdruck findet, ist ein Wunder von Vojnovićs Prosa.
Romeo und Julia in Bosnien
Ins Geflecht des Gegenwartsberichts hat der Autor einen zweiten Erzählstrang eingewoben, der sich in Rückblicken entspinnt: die Geschichte von Markos erster Liebe. Es ist eine Romeo-und-Julia-Story, die die Tragödie Bosniens widerspiegelt. Bei einem Besuch der Großeltern im bosnischen Visoko hatte Marko Alma kennengelernt und sich Hals über Kopf in sie verliebt. Aber Alma gehört einer Familie muslimischer Bosniaken an. Ihr Bruder will von der Liaison nichts wissen, genauso wie Markos Großfamilie.
"Weil die Muslime Pero Brkovic mitgenommen haben, damit er Gräben gräbt, und er nie zurückgekommen ist …
Und weil die Serben ihren Vater Rasim ins Lager gebracht und ihn halbtot gegen drei Serben ausgetauscht haben. Und weil die Serben das Dorf niedergebrannt haben, in dem die Familie von Almas Mutter lebte. Und weil die Serben mit diesem Scheiß angefangen haben …"
Marko und Alma hatten „mit diesem Scheiß“ nichts zu tun und wollen damit nichts zu tun haben. Die ethnischen Identifikationsangebote, die im Ex-Jugoslawien im Umlauf sind, würden sie offensichtlich gerne zum Mond schießen. Dennoch ist der Krieg noch Jahrzehnte später ihr Verhängnis. Um Marko von Alma zu entfernen, schickt ihn der Vater zu seiner Tante in die Republika Srpska. Als Alma zu ihm geht und ihm vorschlägt, mit ihr ins Ausland durchzubrennen, traut sich Marko nicht. Die Feigheit eines Neunzehnjährigen, die er bitter bereut.
Was mit der Auflösung von Jugoslawien alles verloren ging
Liebe, Heimat, Identität – mit dem ehemaligen Jugoslawien ist auch all das verloren gegangen oder unmöglich geworden. Der Verlust und die durch Markos Zorn kaschierte Wehmut darüber sind das Leitmotiv dieses grandiosen Romans. Zum Schluss fährt Marko nach Visoko und schaut nach dem Hof der verstorbenen Oma, der jetzt anderen gehört.
"Ich gebe einen Scheiß auf dieses Haus und auf alles. Ich gebe einen Scheiß auf Fužine, ich gebe einen Scheiß auf Bosnien, ich gebe einen Scheiß auf alles. Mich gibt es nirgends mehr. Ich bin kein Tschefur mehr und ich bin auch kein Janez. Jetzt bin ich nur noch ein Nichts und Niemand."
SWR2 lesenswert Kritik Goran Vojnović: Tschefuren raus! oder Warum ich wieder mal zu Fuß bis in den zehnten Stock musste
Wer aus Fužine kommt, hat schon verloren: In seinem Debütroman "Tschefuren raus!" erzählt der slowenische Autor GoranVojnoviæeine rasant-berührende Coming-of-Age-Geschichte aus der Vorstadt von Ljubljana.
Aus dem Slowenischen von Klaus Dieter Olof
Folio Verlag, 272 Seiten, 22 Euro
ISBN 978-3-85256-837-9
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Aleš Šteger porträtiert in seinem Reisebuch Slowenien als ein Land an der Schnittstelle unterschiedlicher Kulturen. Die „Gebrauchsanweisung" bringt die komplexe Gefühlslage der Slowenen nah und ist ein passender Begleiter für eine geruhsame Entdeckungsreise zwischen Alpen und Adria.
Piper Verlag, 224 Seiten, 16 Euro
ISBN 978-3-492-27750-1
Bericht mit O-Tönen von Roman Rozina, Drago Jančar und Ilma Rakusa Literatur aus Slowenien, dem Gastland der Frankfurter Buchmesse 2023
Slowenien ist das Gastland der Frankfurter Buchmesse 2023. Holger Heimann war dort unterwegs und hat die Autoren Roman Rozina und Drago Janćar getroffen. Sie erzählen, wie die bewegte Geschichte ihres Landes die Gesellschaft bis heute prägt – und polarisiert. Die beiden Autoren schauen unvoreingenommen auf die slowenische Vergangenheit. Ihre Romane sind Plädoyers für einen produktiven Umgang mit der Geschichte.
Bericht von Holger Heimann
unter anderem mit:
Roman Rozina – Hundert Jahre Blindheit
Aus dem Slowenischen von Alexandra Natalie Zaleznik
Klett-Cotta Verlag, 582 Seiten, 28 Euro
ISBN 978-3-608-98728-7
Drago Jančar – Nordlicht
Aus dem Slowenischen von Klaus Detlef Olof
Folio Verlag, 272 Seiten, 24 Euro
ISBN 978-3-85256-864-5