Der Schweizer Schriftsteller Lukas Bärfuss erhielt am 2.11. in Darmstadt im Rahmen der Herbsttagung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung den Georg-Büchner-Preis 2019.
Lukas Bärfuss ist ein politischer Autor, der sich einmischt
Der diesjährige Büchnerpreisträger Lukas Bärfuss ist ein politischer Autor, der sich einmischt, der offen sagt, was er denkt und sieht. Seine Poetik ist eine des Erinnerns. „Ich bin ein Schriftsteller aus dem Europa des 20. Jahrhunderts. Welchen Faden ich auch immer aufnehme, hinter der nächsten oder spätestens übernächsten Ecke führt er zu einem Massengrab.“
Die Nazis waren nie weg
„So hatte ich zum Beispiel vergessen, dass es so etwas wie eine Entnazifizierung nicht gegeben hat. Sie sind nicht plötzlich wieder da die Nazis und ihr Gedankengut. Und sie selbst sind überhaupt nie weg gewesen. Und jeder Demokrat, der darüber staunt, sollte sich vielleicht fragen, warum er es vergessen hat. Und vor allem: Wer uns all dies in Zukunft ins Gedächtnis rufen wird.“
Bärfuss sagte, er fühle sich denen verbunden, die - wie Büchner - an der Möglichkeit festhielten, dass die Menschheit eines Tages ungeteilt in Frieden werde leben können.
Und für diese Hoffnung, diese Zuversicht, die Ermutigung durch den Preis dankte Lukas Bärfuss der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.
Kommentar von Alexander Wasner zur Vergabe des Georg-Büchner-Preises an Lukas Bärfuss
Da war nicht nur der Autor überrascht. Vom Büchner-Preis als „Engelskuss“ sprach Lukas Bärfuss. Ihn hatte keiner auf dem Schirm. Den Büchner-Preis erhalten „Großschriftsteller“. Und Lukas Bärfuss bekam viele Preise, aber als Großschriftsteller läuft er unter dem Radar der Öffentlichkeit. Max Frisch ist ein Großschriftsteller aus der kleinen Schweiz, Friedrich Dürrenmatt auch – spielt Bärfuss also in derselben Liga?
Der Theaterautor Bärfuss
Dazu muss man sich das Werk anschauen. Seine Theaterstücke sind mittlerweile überregional groß besprochene Ereignisse. „Die sexuellen Neurosen unserer Eltern“ hieß das, mit dem er bekannt wurde. Der „Elefantengeist“ war dann 2018 ein umstrittenes Theaterstück über Helmut Kohl. Bärfuss lieferte Klischees, die gemütliche, hässliche BRD der 80er, Flick, Ehrenwort, sogar die alten „Birne“-Witze wurden darin zitiert. Im Mittelpunkt stand ein Bunker, darin wurde sozusagen die Geschichte abgeladen und verdrängt.
Bärfuss beschreibt die dunklen Räume der Seele
Genau das ist die Bärfuss-Maschine. Er beschreibt und interpretiert die Darkrooms, die dunklen Räume der Seele, die findet man bei einzelnen Menschen wie bei ganzen Nationen. Am deutlichsten vielleicht in seinem ersten Roman: „Hundert Tage“ erzählt Bärfuss die Geschichte eines Entwicklungshelfers. Er will seine große Liebe retten und versteckt sich in Ruanda in der Zeit des Völkermordes 1994.
Am Ende muss er feststellen, dass nicht nur das Land, sondern auch alle, die er retten wollte, sich verändert haben. Der wohl böseste Satz des Buchs lautet: „Nein, wir gehören nicht zu denen, die Blutbäder anrichten – aber wir sind die, die darin schwimmen.“
Ein Vorwurf, der die Schweiz treffen soll – aber unsere Ethik insgesamt charakterisiert. Man kann ihn übertragen auf Ökologie, auf entfesselten Kapitalismus, auf die Verdrängung der historischen Verantwortung. Lukas Bärfuß ist ein Meister darin, Sätze zu formulieren, die aus einer Romanhandlung das große Ganze herausarbeiten.
„Koala“, ein Roman über den Freitod des eigenen Bruders
Damit spielt auch der Roman „Koala“. Koala war der Spitzname seines Bruders. Der hat sich umgebracht, Lukas Bärfuss schreit in dem Buch seinen Schmerz heraus und bringt den Selbstmord zusammen mit der Kolonialisierung Australiens und dem Massenmord an Aborigines und eben, Koalas, die sich so wenig gewehrt haben wie sein heroinsüchtiger Bruder.
Ein Bärfuss-Twist, ein starkes Bild. Lukas Bärfuss wehrt sich und verströmt dabei eine erhebliche Angriffslust.
Schriftsteller sein ist etwas anderes als Schriftsteller werden zu wollen
Neulich hat er in der Hamburger Elbphilharmonie einen Vortrag gehalten. Es ging um Musik und darum, dass man üben muss, um ein Instrument zu lernen. Er beschrieb, wie er geübt hätte, um ein Schriftsteller zu werden. Sätze, Spannungsbögen, das ganze Arsenal. Dann hätte man ihm plötzlich den Schriftsteller abgenommen. Jetzt sei er einer. Aber Schriftsteller sein – und Schriftsteller werden wollen, das seien sehr verschiedene Dinge.
Beim Üben darf man sich keinen Fehler durchgehen lassen
Identität bringe kein Glück, sondern das Werden, das Sich -Entwickeln bringe es. Und beim Üben sei es wichtig, sich keinen Fehler durchgehen zu lassen. Fehler sind was für festgefahrene Profis – und das will Lukas Bärfuss nicht sein. Denn Profis lassen aus ökonomischen Gründen fünf gerade sein und Sorgfalt im Umgang mit Menschen und Material vermissen.
Lukas Bärfuss kommt immer vom Besonderen ins ganz Große. Er vermeidet dabei, das kann man gar nicht groß genug loben, die alten Trampelpfade, ist nicht links und nicht rechts – er ist Vertreter einer individuellen Souveränität, ein Eidgenosse durch und durch. Er passt in die Liga von Dürrenmatt und Frisch, von Keller und Urs Widmer.
Lukas Bärfuss, geboren am 30. Dezember 1971 in Thun/Schweiz, ist Dramatiker, Erzähler und Essayist. Er lebt in Zürich.
Unter anderen erhielt Bärfuss 2009 den Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis (Sonderpreis), 2010 den Hans-Fallada-Preis, 2013 den Berliner Literaturpreis, 2014 den Solothurner Literaturpreis, 2014 den Schweizer Buchpreis, 2015 den Nicolas-Born-Preis, 2016 den Johann-Peter-Hebel-Preis und 2018 den Preis der LiteraTour Nord.
2017 stand Lukas Bärfuss mit seinem Roman „Hagard“ auf der Shortlist für den Leipziger Buchpreis.