Literatur

Salman Rushdie mit Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet

Stand
Autor/in
Cornelia Zetzsche

Für sein erzählerisches Werk voll Weitsicht, Innovation, Humor und Weisheit – und als leidenschaftlicher Verfechter der Freiheit des Denkens erhielt der Schriftsteller Salman Rushdie den Friedenspreis des deutschen Buchhandels. In seiner Laudatio in der Frankfurter Paulskirche beschrieb Daniel Kehlmann Rushdie selbst als „veritable Rushdie-Roman-Figur“ mit einer unglaublichen Lebensgeschichte.

Daniel Kehlmann: „Rushdie ist einer, der alles sieht“

Feststimmung am Sonntagmorgen in der Frankfurter Paulskirche. Salman Rushdie erhält den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Wo vor 175 Jahren um die erste deutsche Verfassung und Grundrechte wie Meinungsfreiheit gerungen wurde, rühmte Laudator Daniel Kehlmann den Freund als „Superhelden“, der manchen seiner Romanhelden ähnelt.

In der bis zum letzten Platz gefüllten Paulskirche, führte er durch Rushdies Werk und charakterisierte den Friedenspreisträger als hochgebildeten Autor, der uns die Menschennatur unter verstärkter Linse zeigt; „dem keine Zeitströmung, kein geistiger Windhauch verborgen bleibt“, der alles, was wichtig ist, als erster wahrnimmt und in Kunst transformiert.

Mit Salman Rushdie werde „humanistische“ Größe ausgezeichnet

Ob er, nur wenige Wochen nach einem beinahe tödlichen Messerangriff, schon über Star Wars sprach; ob er Cervantes‘ „Quijote“ zur postmodernen amerikanischen Roadnovel machte oder in „Die Satanischen Verse“ fundamentalistischen Terror beschreibt: für Kehlmann ist Rushdie einer, der alles sieht und sichtbar blieb, selbst im jahrelangen Versteck nach Ayatollah Chomeinis Fatwa, als er zum berühmtesten Unsichtbaren wurde, während die internationalen Geschäfte mit Iran weiterliefen.

„Im Angesicht seiner schier unsinnig großen Lebensgeschichte, erlaube ich mir, Salman eine veritable Rushdie-Romanfigur zu nennen: unbestritten einer der großen Erzähler der Literaturgeschichte, der vielleicht wichtigste Verteidiger der Freiheit von Kunst und Rede in unserer Zeit – vor allem aber ein weiser, neugieriger, heiterer und gütiger Mensch und somit der würdigste Träger, den es für diese Auszeichnung, die ja als Friedenspreis ausdrücklich nicht nur künstlerische, sondern auch humanistische Größe auszeichnet, überhaupt hätte geben können.“ (Daniel Kehlmann)

Er sei ein „erzählendes Tier“

Er glaube an Geschichten, der Mensch definiere sich durch Geschichten, er sei ein erzählendes Tier, hat Salman Rushdie immer wieder gesagt, und so nimmt es nicht wunder, dass seine Frankfurter Dankesrede eine Serie wundersamer Geschichten wurde, geschöpft aus der „Vorratskammer der Mythen und in Haruns „Meer von Geschichten, auf dem wir alle segeln“.

Zu allererst – schließlich wurde Rushdie 1947 in Bombay geboren - aus indischen Legenden und dem „Panchantantra“, altindischer Fabeldichtung über Hinterlist und Verrat menschlicher Tiere. Ob im Mahabharata, bei Homer, dem Zauberer von Oz oder den Brüder Grimm, in allen Geschichten kostet der Frieden einen blutigen Preis und Jahre des Unfriedens.

Frieden scheint ohne Zerstörung nicht zu haben, sagte er, der selbst ein Auge verlor durch einen islamistischen Attentäter. Aber Salman Rushdie wäre nicht er selbst, hätte er für die Frankfurter nicht eine fabelhafte Idee. Immerhin steckt in Salman das Wort „Salamat“, was so viel wie „Frieden“ bedeutet.

Der fabelhafte Friedens-Preis

Fabeln hätten sein Werk beeinflusst, sagte Rushdie in seiner Dankesrede, aber auch ein Friedens-Preis habe etwas entschieden fabelhaftes an sich. Ihm gefiele der Gedanke, dass der Friede selbst der Preis ist, dass die Jury Magisches kann, gar Fantastisches – eine Jury weiser Wohltäter, so unendlich mächtig, dass sie einmal im Jahr und keinesfalls öfter, einem einzigen Menschen und keinesfalls mehr, mit Frieden für ein ganzes Jahr belohnen darf.

Gerne in Form eines Jahresvorrats vom edlen Jahrgang eines Pax Frankfurtiana. Sagt’s, erfindet sogleich neue Geschichten und ist im nächsten Absatz schon wieder zurück aus der Zukunft in der Gegenwart. Rushdies Romane sind Feuerwerke aus Märchen und politischer Realität, sie handeln – immer – von allem.

Auch seine fabulöse Frankfurter Friedenspreis-Rede spannte den Bogen von Oppenheimer bis Barbie, von Krieg und Frieden und von der Ukraine und Israel, für die Frieden in weiter Ferne scheint. Und mehr noch warnte Rushdie vor der Gefahr im Inneren.

„Wir leben in einer Zeit, von er nicht geglaubt habe, sie erleben zu müssen, einer Zeit, in der die Freiheit – insbesondere die Meinungsfreiheit, ohne die es die Welt der Bücher nicht gäbe – auf allen Seiten von reaktionären, autoritären, populistischen, demagogischen, halbgebildeten, narzisstischen und achtlosen Stimmen angegriffen wird. Eine Zeit, in der sich Bildungseinrichtungen und Bibliotheken Zensur und Feindseligkeit ausgesetzt sähen, in der extremistische Religionen und bigotte Ideologien begännen, in Lebensbereiche vorzudringen, in denen sie nichts zu suchen hätten.“ (Salman Rushdie)

Literatur bringt Licht ins Dunkel

Bewegend, wie Sir Salman die Frankfurter Auftritte meisterte; wie er, auch in der Paulskirche, sichtlich berührt, von langem Applaus getragen wurde; wie er nach dem Attentat im letzten Jahr zurück gefunden hat ins Leben.

Dank vieler Ärzte, mit weltweiter Solidarität. Woher er seine Energie, seinen unversehrten Humor nimmt, bleibt sein Geheimnis, sein Optimismus scheint ungetrübt. Eine Rolle der Kunst, eine Funktion der Literatur lehnt er ab, und dennoch setzte er, auch in seiner Dankesrede, ganz auf die Kunst. Literatur bringe Licht ins Dunkel – angesichts der Barbaren heute:

„Und ich weiß, Kunst ist die Antwort auf Philisterei, Zivilisation die Antwort auf Barbarei: In einem Kulturkrieg aber können Künstler und Künstlerinnen aller Art – Filmemacherinnen, Schauspieler, Sängerinnen und ja, die Ausübenden jener Kunst, die von den Buchmenschen der Welt Jahr für Jahr in Frankfurt versammelt werden, um sie zu fördern und zu feiern, diese alte Kunst des Buches – sie alle gemeinsam können die Barbaren noch von den Toren fernhalten.“ (Salman Rushdie)

Kommentar Hitzige Debatten und ein versöhnlicher Abschluss – Das war die Frankfurter Buchmesse 2023

Nach hitzigen Debatten um den Nahost-Krieg war die jetzt schon historische Rede von Friedenspreisträger Salman Rushidie ein versöhnlicher Abschluss.

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Kurz vor dem Messerattentat im August 2022 beendete Salman Rushdie seinen neuen Roman. „Victory City“ ist ein fulminante Gegenerzählung zum Narrativ von Fundamentalisten und Religionswächtern aller Zeiten.
Rezension von Cornelia Zetsche.
Aus dem Englischen von Bernhard Robben
Penguin Verlag, 416 Seiten, 26 Euro
ISBN 978-3-328-60294-1

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