Buch der Woche

Ernst Hofacker – Die 70er. Der Sound eines Jahrzehnts

Stand
Autor/in
Wolfgang Schneider

Sag mir, welche Musik du hörst, und ich sage dir, wer du bist! Das war die Devise der 1970er Jahre, des innovationsfreudigsten Jahrzehnts der Popmusik.

Der Musikjournalist Ernst Hofacker hat die kreative Dekade als leidenschaftlicher Musikfan erlebt. Sein Buch bietet jedoch keine Nostalgieshow, sondern unprätentiöse und hintergründige Popgeschichtsschreibung.

Die Siebziger setzten neue Maßstäbe bei der Qualität von Tonaufnahmen

Noch laufen viele Songs der Siebziger im Radio – obwohl der Beginn der Dekade nun ein halbes Jahrhundert zurückliegt. Warum ist diese Musik immer noch so präsent?

Es liegt zum einen schlicht daran, dass in den Siebzigern erstmals eine Qualität der Tonaufnahmen erreicht wurde, die auch heutigen Ansprüchen genügt.

Die Stile werden vielfältiger und differenzierter

Zum anderen liegt es aber auch an einer bis dahin ungekannten Vielfalt und Ausdifferenzierung der Stile. Hard-, Heavy-, Kraut-, Blues- oder Progrock entwickelten sich zu eigenen Genres. Reggae, Disco, Elektro, Punk und New Wave wurden erfunden.

Viele der bis heute ikonischen Bands und Musiker prägten die Siebziger, darunter Pink Floyd, Black Sabbath, AC/DC, David Bowie, Kraftwerk und natürlich Abba und Zappa, die das popmusikalische Alphabet rahmen.

Ernst Hofacker betreibt mit seinem Buch Popgeschichtsschreibung

Es mangelt denn auch nicht an Gedenkanlässen und Nostalgie-Shows. Die Stärke von Ernst Hofackers Buch über den „Sound der Siebziger“ besteht darin, dass es eben keine sentimentalischen Erinnerungen pflegt, sondern in einem angemessen sachlichen Ton hintergründige Popgeschichtsschreibung betreibt.

Musikjournalist und Autor Ernst Hofacker
Musikjournalist und Autor Ernst Hofacker

In elf Kapiteln führt Hofacker exemplarisch die Stilrichtungen und Durchbrüche vor. In dieser Vielfalt und Offenheit liegt der Reiz des Buches. Auch wer vieles bereits weiß, kann hier den Blick erweitern.

Kein Genre wird ausgelassen

Wer mit der Geschichte der Disco-Kultur vertraut ist, kennt vielleicht noch nicht die Verbindung von Rebellion und Geschäftstüchtigkeit bei der Erfindung des Punk oder die Bedeutung von Los Angeles für die Herausbildung des kokainnasigen Mainstreamrocks, wie ihn die Eagles repräsentierten.

Hofacker erzählt die spannende Entstehungsgeschichte des Reggaes und stellt die Spielarten der Black Music vor, vom schlüpfrigen Schmusesoul des brummigen Barry White bis zum aggressiven weiblichen Selbstermächtigungsfunk einer Betty Davis.

Auch soziale und politische Hintergründe werden aufgezeigt

Er verrät uns, was die Geburt des Heavy Metal mit einem Arbeitsunfall zu tun hatte, bei dem der spätere Black Sabbath-Gitarrist Tony Iommi die Fingerkuppen seiner Greifhand einbüßte, so dass er sich neue Spieltechniken ausdenken musste.

Neben solchen Mythen und Anekdoten bezieht Hofacker auch soziale und politische Hintergründe sowie den Stand der musikalischen Produktionsmittel ein.

Das Album, am besten mit Konzept, fungiert als wichtigstes Medium in den Siebzigern

Denn auch das war ein wichtiger Durchbuch der Siebziger: Das Aufnahmestudio wurde selbst zum Instrument und Experimentierraum, in dem nun oft monatelange getüftelt wurde, während Musiker zuvor dort nur rasch ein paar fertige Lieder aufnahmen.

So wurde das wichtigste Medium das Album, am besten mit Konzept. Eine Band wie Led Zeppelin veröffentlichte erst gar keine Singles mehr.

Populärmusik als identitätsstiftendes Merkmal

Es war eine Zeit, in der viele Musiker mehr wollten als Verkaufserfolge. Die Populärmusik war identitätsstiftend und riskierte deshalb auch das Sperrige – sag mir, was du hörst, und ich sage dir, wer du bist.

Pop und Rock waren noch keine Dauerberieselung im Supermarkt und keine Soundtapete in den Medien. Dennoch wurde die Popmusik gerade in jenen Jahren zum Riesengeschäft.

1973 erzielte die Musikindustrie in den Vereinigten Staaten höhere Gewinne als die Filmbranche und der Sport zusammen.

Auch die deutsche Musik kommt in Hofackers Roman nicht zu kurz

Ein schönes Kapitel widmet Hofacker der Problematik des Gesanges in der deutschen Rockmusik.

Dabei erzählt er nicht nur die Heldengeschichte von Udo Lindenbergs Nuschel-Charisma und seinem Widerstand gegen die Schlagerseligkeit, sondern geht der Frage auf den Grund, warum die gesamte Krautrockszene keine überzeugenden Sänger fand.

Meist fremdelten die Männer am Mikro sowohl mit der englischen Sprache wie auch mit der emotionalen Emphase der angloamerikanischen Vorbilder.

Das Singen, schlussfolgert Hofacker mit Witz, „gehörte in diesen Jahren also nicht zu den bevorzugten Kulturtechniken eines jungen Mannes in der Bundesrepublik. Es war einfach cooler, Gitarre zu spielen.“

Das Jahrzehnt, das mit einer Entfesselung musikalischer Brillanz begonnen hatte, verbannte schließlich die Musiker von der Bühne

Für „Rapper’s Delight“ der Sugarhill Gang, eines der ersten maßgeblichen Stücke des Hiphop, wurde 1979 einfach die Basslinie des Chic-Hits „Good Times“ geklaut.

Als Kultur des Samplings bezeichnete man das später. Aber das war damals noch Zukunftsmusik.

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Autor/in
Wolfgang Schneider