In einem kleinen Ort in Florida verschwindet die Tochter des Predigers. Eine Clique 13-Jähriger, denen das Lügen leichtfällt, weiß so einiges über die Geschehnisse in der Stadt.
Dizz Tates Debut vereint subtile Spannung, eine mysteriöse Atmosphäre und Irritation zu einem nachwirkenden Coming-of-Age-Roman.
Ein kleines Städtchen in Florida. Gelangweilt streift eine Clique 13-jähriger Teenager durch den Ort und lungert herum.
In ihrem Debutroman „Wir, wir, wir“ versetzt uns Dizz Tate mitten in die ungute Dynamik dieser Gruppe hinein. Die Mütter der Jugendlichen sind mit sich selbst beschäftigt und schenken ihnen wenig Aufmerksamkeit. Die Teenager schlagen also die Zeit tot, indem sie Streiche spielen und andere Menschen im Ort beobachten.
Zum Beispiel Sammy, die Tochter des Predigers. Sie ist ein Jahr älter als die Gruppe und hängt häufig mit den älteren Teenagern und ihrer besten Freundin Mia ab. Die Clique findet Sammy schräg und mysteriös und bewundert ihren Mut. Etwa als sie beobachten, wie Sammy sich die Haare abschneidet:
Wütende Teenager in einer pink-orangefarbenen Welt
Plötzlich verschwindet Sammy. Im Ort startet eine Suchaktion, Mütter bilden Telefonketten und informieren sich gegenseitig über das Verschwinden des Mädchens. Auch die Clique, bestehend aus Leila, Britney, Christian, Isabel, Jody und ihrer Schwester Hazel, schließen sich der Suche an. Später macht ein Gerücht über ein Ungeheuer im See die Runde und eine Reihe Brandstiftungen versetzt den Ort in Aufruhr.
Die Geschichte spielt in Falls Landing, einem kleinen Ort in Florida, in dessen Nähe sich Freizeitparks und Sumpflandschaften befinden. Dizz Tate ist selbst in Florida aufgewachsen und ihre bildhaften Beschreibungen schaffen eine in Pink- und Orangetönen gefärbte, einem Sonnenuntergang ähnelnde Welt. Im Kontrast hierzu steht die kühle, düstere Stimmung des Romans und die unterschwellige Wut der Figuren.
Die Autorin schafft es über weite Strecken, die Spannung aufrecht zu erhalten. Das liegt weniger an den teils etwas kuriosen Handlungszweigen als vielmehr an einem Gefühl der Irritation und unterschwelligen Bedrohung, die sich beim Lesen einstellt. Es bleibt die Frage: Was geht hier vor? Denn die Clique weiß, wo Sammy sich befindet, verschweigt es aber.
Sehnsucht nach einem glamourösen Leben
Die Rahmenhandlung der Suche nach Sammy unterbricht Dizz Tate durch Erzählungen der mittlerweile erwachsenen Gruppenmitglieder. Sie blicken zurück auf ihre unerfüllte Kindheit und auf Sammys Verschwinden.
Alle eint die Unzufriedenheit mit ihrem Leben. Schon als Kinder träumen sie von einem anderen, glamouröseren Dasein, am liebsten in der Großstadt und blickten neidisch auf die selbstbewusste Sammy und ihre beste Freundin:
Dizz Tate befreit ihre Figuren als Erwachsene nicht von der Schuld, die sie als Teenager auf sich geladen haben. Immer wieder werden sie von der Vergangenheit eingeholt, können ihr schlechtes Gewissen nicht ausschalten. Zu oft haben sie nur beobachtet, statt zu handeln; haben die Wahrheit verschwiegen.
Mit ihrem Roman „Wir, wir, wir“ ist der US-amerikanischen Autorin Dizz Tate ein atmosphärisches Debut gelungen – eine irritierende und zugleich fesselnde Lektüre.
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Rezension von Sonja Hartl.
Aus dem Englischen von Stefanie Jacobs
Claassen Verlag, 288 Seiten, 25 Euro
ISBN 9783546100359