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Christopher Clark – Frühling der Revolution. Europa 1848/49 und der Kampf für eine neue Welt

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Autor/in
Clemens Klünemann

In seinem neuen Buch widmet sich der renommierte Cambridge-Historiker Christopher Clark dem europäischen Revolutionsfrühling von 1848. Als Chronist eines großen - politischen und gesellschaftlichen - Aufbruchs zeigt er überzeugend und entgegen der weit verbreiteten Vorstellung einer gescheiterten Revolution, dass viele der emanzipatorischen Ideen von 1848 weiterlebten.

Auf den französischen Historiker Marc Bloch geht das Bonmot zurück, dass das Missverstehen der Gegenwart schicksalhaft aus der Unkenntnis der Vergangenheit hervorgehe. Obwohl er nirgends darauf Bezug nimmt, scheint diese Einsicht Christopher Clark in jedem der neun Kapitel seiner jüngst erschienenen Studie unter dem Titel Frühling der Revolution zu beschäftigen: Auf den über tausend Seiten seines Buchs geht es um ‘Europa 1848/49 und den Kampf für eine neue Welt‘ – und gleichzeitig geht es um die Frage, was eine erfolgreiche oder gescheiterte Revolution ausmacht und nach welche Kriterien sich denn deren Erfolg bemisst.

1848 war ein europäisches Phänomen

Das macht das im Frühjahr auf Englisch unter dem Titel Revolutionary Spring erschienene und jetzt auf Deutsch vorliegende Buch gerade für deutsche Leserinnen und Leser interessant, gilt doch in der kollektiven Erinnerung der Deutschen 1848 als ein Synonym für die gescheiterte deutsche Revolution, die das Land auf seinen berüchtigten Sonderweg gebracht habe. Dabei war 1848 keinesfalls eine überwiegend deutsche Angelegenheit: Clark spannt den Bogen von der prekären sozialen Welt Europas vor 1848 zu den revolutionären Aufständen in Paris, Berlin, Wien, Rom bis hin zu den Fernwirkungen dieser Erschütterungen auf der ganzen Welt, vor allem in Südamerika, wo ‘1848‘ noch über Jahrzehnte als revolutionäres Fanal galt.

Auch in den europäischen Metropolen traf der kompromisslose Wille zum Umsturz auf ebenso kompromisslose Beharrungskräfte, und dass diese Blöcke nicht überwunden werden konnten, trug der Revolution von 1848 den Ruf des Scheiterns ein – zu Unrecht, betont Christopher Clark mit Verweis auf das breite Spektrum der revolutionären Akteure und die Vielschichtigkeit ihrer Motive.

Breites Spektrum von Motiven

Vielschichtig sei die Revolution von 1848 vor allem deshalb, weil die Grenzen zwischen rechts und links, konservativ-traditionell und progressiv-liberal oder zwischen nationalistisch und universalistisch noch nicht scheinbar endgültig gezogen waren – außer einer: der zwischen arm und reich. 1848 schienen alle Optionen auf dem Tisch zu liegen, dieser fundamentalen Ungerechtigkeit ein Ende zu bereiten.

Damit schildert Christopher Clark das von ihm so genannte „mystische Ideal von der Revolution als schöpferischem Moment“ – und dekonstruiert es gleichzeitig, indem er zeigt, welche Sollbruchstelle dieses Ideal hatte: Dass es nämlich den Liberalen nicht gelungen sei, sich aus der Umklammerung der auf dem Status quo beharrenden Traditionalisten zu lösen, und dass sich die Demokraten als unfähig erwiesen, die Parlamente als Ort der Suche nach einem sozialen Minimalprogramm anzuerkennen.

Aber, so möchte man einwenden, galt dies denn nicht alles bereits für 1789 und die folgenden Jahre? Vehement wendet sich Clark gegen die vor allem von Karl Marx geäußerte Kritik an den Revolutionären von 1848, diese inszenierten sich lediglich als Imitatoren des großen Vorbildes und spielten dieses nach – was ihnen zur Farce gerate. Clark betont vielmehr, dass die Akteure von 1848 im Gegensatz zu denen von 1789 ein historisches Bewusstsein ihres Handels gehabt hätten und davon, dass sich in ihrer Gegenwart Historisches ereigne. Diese Herabsetzung des ‚Völkerfrühlings‘ von 1848 als Imitation von 1789 übersieht – so Clark – wichtige Weichenstellungen wie beispielsweise diejenige, dass 1848 „den Monarchen eine Lektion über die Macht des Nationalismus und den Nationalisten eine Lektion über die Unverzichtbarkeit staatlicher Macht erteilte.“

1848 kann die Augen für die Gegenwart öffnen

Gerade diese Lektion gerate indes heute zunehmend in Vergessenheit: Die Legitimität von Staatlichkeit zu verhöhnen – egal, ob dies aus einem linken oder rechten Narrativ erwachse, sei ein Rückfall in die seit 1848 für überwunden gehaltenen Kämpfe. Unter ausdrücklichem Bezug auf die Gewaltbereitschaft der sog. Gelbwesten in Frankreich, die versuchte Reichstagsbesetzung in Berlin im Sommer 2020 und die Stürmung des Kapitols in Washington im Januar 2021 schreibt Christopher Clark: „Die Menschen von 1848 könnten sich in uns wiederfinden.“

Die Menschen von 1848 zu verstehen kann uns die Augen für unsere Gegenwart öffnen – und vielleicht vor dem bewahren, was ihren Nachfahren bevorstand.

Buchkritik Christopher Clark - Gefangene der Zeit. Geschichte und Zeitlichkeit von Nebukadnezar bis Donald Trump

Der australische Starhistoriker Christopher Clark veröffentlicht einen Sammelband mit 13 ausgewählten Aufsätzen.
Rezension von Konstantin Sakkas.
Aus dem Englischen von Norbert Juraschitz
DVA 2020, 336 Seiten, 26 Euro
ISBN 978-3-421-04831-8

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Die Revolution von 1848/49

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Clemens Klünemann