Aus dem Norwegischen von Ursel Allenstein
Auf 1300 Seiten entfaltet der Norweger Johan Harstad einen weltumspannenden Roman: Er führt vom norwegischen Stavanger bis nach Long Island. Im Mittelpunkt: der junge Regisseur Max, der ein bisschen verstrahlt, aber auch irgendwie zielstrebig durchs Leben geht.
"Max, Mischa und die Tet-Offensive" erzählt nicht nur eine Liebesgeschichte, sondern auch eine Freundschafts-, Bildungs-, Künstler-, Kriegs- und Migrationsgeschichte. Über allem schwebt der erste Satz aus Samuel Becketts "Warten auf Godot": "Nichts zu machen."
Aus diesem Motto gestaltet Harstad einen ebenso wortreichen, wie klugen und mitfühlenden Roman.
Bisher ist der Norweger Johan Harstad in Deutschland kaum bekannt, obwohl schon einiges von ihm übersetzt wurde. Aber jetzt könnte der Durchbruch für den 40jährigen Schriftsteller kommen: "Max, Mischa & die Tet-Offensive" heißt sein neuer Roman, dem das Zeug zum Kultbuch nachgesagt wird.
Die Geschichte beginnt im Herbst 2012 in Minneapolis. Dort ist der Theaterregisseur Max Hansen auf Tour mit einem erfolgreichen Stück, einer Verteidigung des Kapitalismus. Aber seine Stimmung ist im Keller, das Leben im Eimer:
Aus diesen zwei Sätzen entwickelt der Norweger Johan Harstad, der mit Kurzgeschichten seine Laufbahn begann, einen, nein, eigentlich zwei als Gesellschafts-Panorama angelegte Generationenromane: Die Geschichte von Max, 1977 in der norwegischen Industriestadt Stavanger geboren und von seinen Eltern mit zwölf Jahren in die USA, nach Long Island verpflanzt. Und die Geschichte seines Onkels Owen, der vor dem einengenden, schuldbeladenen und unfreien Nachkriegseuropa nach New York geflohen ist, bevor Max zur Welt kam, von einer Karriere als Jazz-Pianist träumend.
Coming-of-Age des Ich-Erzählers Max
Harstad erzählt die Geschichte von Max als Coming-of-Age-Roman aus der Ich-Perspektive und verleiht seiner Figur einen genau richtig dosierten selbstironischen Ton.
Wenn Max zum Beispiel in einem zweiseitenlangen atemlosen, erzähltheoretisch geradezu plakativen Satz das Krisen-Jahr 2009 zeitraffend erzählt, in dem er sich von seiner großen Liebe Mischa trennt und auch sonst alles den Bach runtergeht in der Welt, endet der Abschnitt so:
Nach 250 Seiten kommt ein zweiter Ich-Erzähler ins Spiel
Man identifiziert sich gern mit diesem Max, der so verstrahlt und doch irgendwie zielstrebig durch sein Leben taumelt. "Ich werde von jedem von euch erzählen", verspricht er im ersten Kapitel und meint damit, muss man sagen, vor allem das künstlerisch gebildete Milieu.
Der Kreis der Angesprochenen wird generationenmäßig nach rund 250 Seiten erweitert, als die zweite Stimme dazu gespielt und mit der Geschichte von Max im Wechsel von Rückblenden und Gegenwartsebene verflochten wird: Owen tritt auf, zunächst in fragmentarisch gebauten Kapiteln.
Er hatte keinen Kontakt mehr zur Familie, seit er in den Vietnam-Krieg zog, um Amerikaner zu werden und für immer beschädigt zurückkehrte. Während das Leben von Max trotz der Moll-Töne doch immer auf dem Motiv "Der Tag beginnt" abgespielt wird, lautet Owens Leitmotiv: "zu spät".
Vieles verbindet die Protagonisten
Beiden gemeinsam ist ihre Unfähigkeit, Ereignissen handelnd etwas entgegen zu setzen. Sie sind hilf- und sprachlose Fatalisten. Der Theaterregisseur Max sagt:
Francis Scott Fitzgeralds Überzeugung "Alles Leben ist ein Niedergang" steht Pate für diesen Roman. Und natürlich Samuel Beckett, auf den unablässig verwiesen wird: in den Lehrerfiguren, die Max und Owen prägen und in dem leitmotivisch eingesetzten ersten Satz von Becketts Theaterstück "Warten auf Godot": "Nichts zu machen."
Der Roman hat Kult-Potenzial - aber mit solidem Fundament
Man könnte vielleicht sogar sagen, dass Johann Harstad zwar auf der Oberfläche einen handlungs- und wortreichen Roman geschrieben hat, der durch seine Auseinandersetzung mit dem American Dream das Zeug zum Kult-Buch hat.
Aber darunter ist er eine fast schon an Krzysztof Kieślowski strengen Dekalog erinnernde Variation auf dieses "Nichts zu machen": als Liebesgeschichte, als Geschichte vom Krieg, als Geschichte der Migration, als die Geschichte von Mensch und Natur.
Darauf deutet auch hin, dass Harstad durch seine Künstlerfiguren den Regisseur Max, die Malerin Mischa, den Schauspieler Mordecai und den Musiker Owen permanent Kunst-Gespräche und Reflexionen in die mit Lebensweisheiten angefütterten Alltagsgeschichten einbaut.
Harstad überzeugt mit beeindruckender Wissensfülle
Tatsächlich sind es ja nicht die Geschichten, nicht die Charaktere, sondern die Beschreibungen und Reflexionen, die den Spannungsbogen des Romans bilden. Wie spannend und tragfähig diese Gedanken aber tatsächlich sind, kann man anzweifeln. Zum Beispiel, wenn Owen ein Solo über den Krieg bekommt:
Im Grunde sind es bereits gut abgehangene Erkenntnisse, die Johan Harstad in Roman-Form zusammenträgt. Beeindruckend ist freilich die Fülle der Wissensbestände, die er einbringt, von Flugzeugtechnik über Straßenbau bis zu kunsttheoretischen Abhandlungen.
Eine Lektüre, die in der Komfortzone bleibt
Sein Roman gibt sich als lässige Improvisation, wurde aber doch motivisch durch Wiederaufnahmen, Vor- und Rückverweise ziemlich durchgearbeitet und rundet sich am Schluss dann auch harmonisch.
Da Harstad sprachlich eben für alle schreibt, also auf eine geschmeidige Form ohne Widerstände setzt und aus einer Haltung des Wissenden erzählt, hat die Lektüre seines Romans einen beruhigenden Effekt, keinen verstörenden, aber auch keinen wirklich inspirierenden.
Wir können uns als Leserinnen und Leser um dieses Buch wie um ein Lagerfeuer versammeln, es leuchtet hell, wird aber irgendwann erlöschen.
Die geschickte Motivwahl sichert dem Roman Beachtung
Interessant ist, dass es vor zwei Jahren einen jungen deutschen Autor gab, der künstlerisch und intellektuell durchaus verstörend einen in der Konstruktion vergleichbar angelegten Roman vorgelegt hat: Das war Roman Ehrlich mit seinem Buch "Die fürchterlichen Tage des schrecklichen Grauens".
Möglicherweise hätte er die Handlung in die USA verlegen sollen, um ähnliche Aufmerksamkeit zu bekommen, wie Johan Harstad sie sicherlich ernten wird, was ihm und seinem grundsoliden Buch über Einsamkeit und Hoffnung durchaus zu wünschen ist.
Der American Dream in seiner ganzen Ambivalenz zieht eben immer noch. Und der Kult um wortreiche norwegische Autoren, die Kunst und Leben verbinden, offensichtlich auch.