Von Me-Too bis zu Eltern-Demos gegen schulische Aufklärung – Sex in der öffentlichen Wahrnehmung scheint vor allem eines zu sein: ein Problem. Zu diesem Schluss kommt die Philosophin und Historikerin Bettina Stangneth in ihrem neuen Buch „Sexkultur“.
Jahrhundertelang hätten wir uns daran gewöhnt, Sex von Kultur zu trennen, als etwas Natürliches und Triebhaftes zu kategorisieren. Dies mache es uns heute unmöglich, frei über Sex zu sprechen.
Bettina Stangneth, international bekannt und ausgezeichnet für ihre Adolf Eichmann - Biografie, streitet für eine neue sexuelle Aufklärung. Die beginnt mit der Frage: Was ist Sex überhaupt? Wer dieses Buch liest, muss feststellen: die Antwort darauf ist gar nicht so einfach.
In aktuellen Diskussionen ist Sex negativ konnotiert
Für Bettina Stangneth ist Sex eine Kulturleistung. Eine, über die wir aber kaum in der Lage seien, wirklich zu sprechen. Da stünde uns Europäern die eigene, jahrhundertealte Tradition im Weg, die den Sex in den Bereich des Triebhaften und Tierischen verdrängt habe.
In den medialen und digitalen Diskussionen der Gegenwart sei der Sex außerdem vor allem mit negativen Begleiterscheinungen verknüpft – von MeToo, über Pornosucht bis sexualisierte Gewalt.
Ziel von Betinna Stangneth ist eine neue sexuelle Aufklärung
Die Philosophin Bettina Stangneth streitet mit ihrem Buch für nichts weniger als eine neue sexuelle Aufklärung. An Immanuel Kant angelehnt, den Philosophen der Aufklärung, fordert die Autorin: Habe Mut, dich deiner Sinnlichkeit ohne Anleitung eines anderen zu bedienen.
Kein leichtes Unterfangen. Und auch das Buch „Sexkultur“ als solches ist keine leichte Lektüre. Bettina Stangneth, seit ihrem preisgekrönten Buch über Adolf Eichmann von 2011 eine international gerühmte Philosophin, verlangt den Leserinnen und Lesern einiges ab.
Die Menschen müssen nach Stangneth mehr über sexuelle Erfahrungen sprechen
Sie selbst habe schon seit den Achtziger Jahren darüber nachgedacht, ein solches Buch zu schreiben – freigeistig, assoziativ, nachdenklich um das Eine kreisend – auf das, wenn es wirklich nur Natur wäre, wir heute leicht verzichten könnten.
Aber wir wollen es ganz offensichtlich nicht sein lassen. Und gerade deshalb empfiehlt die Autorin dringend, mehr darüber zu sprechen, was sexuelle Erfahrungen für den Menschen bedeuten, was sie mit ihm machen.
„Sexkultur“ ist das richtige Buch zur richtigen Zeit
Auch nach der Lektüre von „Sexkultur“ wird man nicht einfach wissen, was Sex genau ist. Die Autorin zieht es vor, unangenehme Fragen zu stellen und Denkanstöße zu liefern.
Und sie vermittelt eine Ahnung davon, wie faszinierend es doch eigentlich ist, dass der Mensch einen vernunftbegabten Körper mit einem lustfähigen Geist bewohnt. „Sexkultur“ ist das richtige Buch zur richtigen Zeit.
Hochkultur in ihrer ursprünglichsten Form
Abseits der ungnädigen Shitstorms und feindseliger Debatten macht es deutlich: Sex muss nicht schambehaftet sein, nicht nur problembeladen oder angsteinflößend. Sex kann auch eine Gabe des Menschen sein, der er mit Ehrfurcht begegnet. Hochkultur gewissermaßen in ihrer ursprünglichsten Form.
7.1.1997 Sex, Fliegen, Treue: Beate Uhse spricht über ihr Leben
7.1.1997 | Beate Uhse (25.10.1919 bis 16.7.2001) – der Name ist auch noch lange nach dem Tod der Unternehmerin eine Marke in der Erotik-Branche. Sie war eine der Pionierinnen in diesem Geschäft, nachdem sie ihre erste Karriere als Pilotin nicht weiterverfolgen konnte. 1948 verschickte sie ihre ersten Verhütungsratgeber, 1951 gründete sie ihr Versandhaus. Heute denken viele bei Beate Uhse vor allem an Pornografie und Sexshops, aber es gab auch Gründe, sie 1989 mit dem Bundesverdienstkreuz auszuzeichnen. In diesem Interview von 1997 spricht sie über ihre Jugend, über ihre Flucht am Ende des Krieges, über ihre Haltung zu Treue in Beziehungen und über vieles andere.