Francesca Melandri gehört zu den populärsten Schriftstellerinnen des diesjährigen Buchmessen-Ehrengastes Italien. Sie hat Drehbücher für Film und Fernsehen geschrieben, aber auch ihr erster Roman „Eva schläft“ wurde auf Anhieb zu einem Erfolg; „Alle außer mir“ wurde im Jahr 2018 zum Lieblingsbuch des unabhängigen Buchhandels gewählt. In ihrem neuen Buch, das keine Gattungsbezeichnung trägt, geht Melandri der Geschichte ihres eigenen Vaters nach.
Zu großen Teilen ist „Kalte Füße“ ein imaginärer Dialog zwischen der Autorin und ihrem verstorbenen Vater Franco. Doch ihr Vater war Faschist. 1942 kämpfte er als Kommandeur von Mussolinis Truppen in der Ukraine gegen die Rote Armee. Nach einer Erkrankung arbeitete Franco Melandri als Journalist bei staatstreuen Blättern.
Francesca Melandri muss also auch mit dem großen Widerspruch zurechtkommen. Da ist der Vater, den die Autorin sehr geliebt hat. Und da ist die politische Person, über deren möglicherweise unheilvolles Wirken sie nichts weiß. Also recherchiert sie in der Ukraine, ausgerechnet, und gerät in die Situation, darüber nachdenken zu müssen, ob Geschichte sich nicht gerade wiederholt.
„Kalte Füße“ ist ein Hybrid zwischen Essay, Gewissenserforschung und einem intimen Gespräch mit einem Verstorbenen. Der Titel erklärt sich aus einer Szene aus einem Buch, in der die Mutter des Kriegsheimkehrers in einem Lazarett dessen Zehen zählt – ein starkes Bild für ein kollektives Trauma.
Buchkritik Francesca Melandri – Kalte Füße
Kann Geschichte sich wiederholen? In ihrem Buch „Kalte Füße“ beantwortet Francesca Melandri diese Frage mit „Ja“. Melandris Buch ist ein dramatisches Zwiegespräch mit dem Vater und eine kluge Abrechnung mit der russlandfreundlichen Linken in Italien.
Rezension von Brigitte Neumann
Literatur SWR Bestenliste Dezember
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