Der 1981 in Sarajevo geborene Tijan Sila kam 1994 als Kriegsflüchtling nach Deutschland. Heute arbeitet er als Lehrer in einer Berufsschule in Kaiserslautern. Sein neues Buch „Radio Sarajevo“ erzählt von einer Kindheit in sozialer Verwilderung und von den Traumata des Krieges. Dabei geht es nur selten explizit brutal und drastisch zu. Doch ist das Buch voll von Eindrücken, Beobachtungen und Ungeheuerlichkeiten. Sie führen eindringlich vor Augen, was es für das Leben eines Kindes bedeutet, wenn die Gewalt so lange in den Alltag einsickert, bis nichts anderes als Verrohung übrigbleibt.
„Radio Sarajevo“ sei, so schreibt Sila es in seinem Nachwort, der Versuch, seine Generation dem Vergessen der Geschichte zu entreißen. Wie der Autor heißt auch der junge Ich-Erzähler Tijan. Er lebt mit seinen Eltern und dem kleinen Bruder in einer Plattenbausiedlung in Sarajevo. In der Siedlung gelten Tijans Eltern als Außenseiter. Die Mutter ist Literaturwissenschaftlerin und schreibt an ihrer Promotion. Der Vater arbeitet als Professor für Bibliothekswissenschaften. Dass er sich nicht freiwillig zur Armee meldet, sondern für das Rote Kreuz arbeitet, stempelt auch Tijan zum Feigling und Verräter.
Als der Krieg ausbricht, zerbrechen die Strukturen des Alltags. Silas Tonfall ist betont heiter, um den Schrecken zu überspielen. 1994 flieht Tijan – wie der Autor selbst – mit seinen Eltern auf abenteuerlichen Wegen nach Deutschland und kommt in Mannheim an. Dass der Krieg mit der Flucht nicht vorbei ist, ist eine Binsenweisheit, die in „Radio Sarajevo“ mit Leben gefüllt wird.
Literatur SWR Bestenliste Dezember
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