Diskutiert auf Platz 2 der SWR Bestenliste Mai 2024
Den literarischen gepflegten Plauderton, den Strout ihrer Ich-Erzählerin, der Schriftstellerin Lucy Barton, in den Mund legt, hat Strout in Kontinuität zum Vorgängerbuch „Oh William!“ weiter perfektioniert. Zur Erinnerung: In „Oh William!“ erzählte Elizabeth Strout davon, wie Lucy Barton und ihr Ex-Mann William trotz einer unschönen Trennung noch immer enge Vertraute sind. Gemeinsam begaben die beiden, er knapp über, sie knapp unter 70, sich auf die Spuren von Williams Vergangenheit. Ein Buch, in dem Angst eine große Rolle spielte.
Nun, in „Am Meer“, kommt ein weiterer Angsttreiber hinzu: die Corona-Pandemie. Der studierte Biologe William hat früh erkannt, was kommen wird. Er überredet Lucy, mit ihm gemeinsam New York zu verlassen und in ein einsam am Meer gelegenes Haus nach Maine zu ziehen.
Das Haus über den Klippen wird zu einer Druckkammer, in der die beiden gezwungen werden, Bilanz zu ziehen: Was haben sie einander zu sagen und was zu verzeihen? Wie stehen sie zu den beiden gemeinsamen Töchtern, die mit ihren Ehemännern und Schwiegereltern ihre eigenen Kämpfe auszufechten haben?
Doch es geht um mehr: Die Gewissheiten der klassischen, wohlsituierten Ostküsten-Intellektuellen, die sich in festem Vertrauen auf die Liberalität ihres Landes ein Leben eingerichtet haben, zerbröckeln. Elizabeth Strout beschreibt ein Land in Aufruhr. Trump, George Floyd, Zwietracht. Trotzdem ist „Am Meer“ kein resignatives Buch.
Buchbesprechungen von Elizabeth Strout
Jenseits ereignisloser Wutprosa: Der Pandemie-Roman „Am Meer“ von Elizabeth Strout
Was macht Elizabeth Strouts Roman „Am Meer“ zu einem außergewöhnlichen Pandemie-Roman? SWR Literaturkritiker Carsten Otte meint: Die Erzählperspektive!
Gespräch Elizabeth Strout – Am Meer
Wie findet man die Balance zwischen Glück und Unglück im Leben? In einem Haus am Meer an der Ostküste der USA zieht ein ehemaliges Ehepaar Bilanz – im Lockdown, zu Beginn der Pandemie.
Gespräch Elizabeth Strout – Oh, William!
Im Alter vertieft sich die Freundschaft zwischen Lucy und ihrem Ex-Mann William. Jahrzehnte nach der Scheidung erkunden sie zusammen ein Familiengeheimnis – und machen sich auf die Spur von Williams Ängsten. Ein sensibler, psychologisch kluger Roman über ein Paar, das sich am besten versteht, wenn es nicht verheiratet ist.
Anja Brockert im Gespräch mit Christoph Schröder.
Aus dem Amerikanischen von Sabine Roth
Luchterhand Verlag, 224 Seiten, 20 Euro
ISBN: 978-3-630-87530-9
Literatur SWR Bestenliste Dezember
Die SWR Bestenliste empfiehlt seit über 40 Jahren verlässlich monatlich zehn lesenswerte Bücher, unabhängig von Bestsellerlisten. Nicht die Bücher, die am häufigsten verkauft werden, bestimmen die Liste, sondern eine Jury, bestehend aus 30 namhaften LiteraturkritikerInnen, wählt die Bücher aus, denen sie möglichst viele LeserInnen wünscht.