In diesem Monat wird Peter Handke 81 Jahre alt. Und wie wir seit seinem berühmten Auftritt vor Journalisten im Oktober 2019 wissen, kommt Handke von Cervantes, von Tolstoi und von Homer. Zumindest letzterer spielt eine Rolle in Peter Handkes neuem Buch, das eine verbürgte Episode aus seiner Familiengeschichte in einen Raum zwischen Vergangenheit und Gegenwart versetzt.
„Wohin nur könnte ich hinab-hinaus-voranflüchten?“ Diesen Satz aus der „Odyssee“ hat Handke seinem Buch vorangestellt. Wie bei Homer ist auch bei Handke die Rückkehr ein immer wiederkehrendes Motiv. Gregor heißt der Held des Buches; der Name taucht nicht zum ersten Mal in Handkes Werk auf. Am Ende der „Ballade des letzten Gastes“ erfahren wir seinen vollen Namen, Gregor Werfer. Er kehrt von einem anderen Kontinent zurück in das Dorf seiner Kindheit; im Elternhaus wartet die Familie.
Der Vater lädt zum Kartenspiel ein, die Schwester hat ein Kind auf dem Arm; da erreicht Gregor auf seinem „Taschentelefonschirm“ (ja, so steht es da!) die Nachricht, dass sein Bruder in einem Krieg erschossen worden sei. Gregor gibt diese Nachricht nicht weiter, sondern begibt sich stattdessen erneut auf eine Reise, eine Wanderung in die Natur, die nicht mehr die ist, die er einst gekannt hat, zersiedelt und ausgelaugt. Innenleben und Außenwelt korrespondieren miteinander.
Am Ende landet Gregor dort, wo man nach einer ausgedehnten Wanderung eben landet: im Gasthaus. Staunend fragt man sich als Leser, wie er das wieder hinbekommen hat, dieser Handke, mit seinen fein ausdifferenzierten Sätzen und fein verästelten Wahrnehmungsgespinsten.
Buchkritik Peter Handke – Die Ballade des letzten Gastes
Peter Handke wurde in den 90er Jahren und dann noch einmal rund um den Nobelpreis heftig kritisiert. Seine uneindeutige Distanzierung von serbischen Kriegsverbrechen ließ ihn vielen verbohrt erscheinen, seine trotzige Antwort darauf wurde fast zum geflügelten Wort: „Ich bin ein Schriftsteller, ich komme von Tolstoi, ich komme von Homer, ich komme von Cervantes. Lasst mich in Frieden und stellt mir nicht solche Fragen.“ Aber das trifft den Kern. Handke ist in der „Ballade des letzten Gastes“ ganz klassisch. Immer wieder taucht sein Jähzorn auf, direkt neben dem Wunsch nach Einsamkeit. Es ist ein virtuoses Spätwerk.
Rezension von Alexander Wasner.
Suhrkamp Verlag, 185 Seiten, 24 Euro
ISBN 978-3-518-43154-2
Literatur SWR Bestenliste Dezember
Die SWR Bestenliste empfiehlt seit über 40 Jahren verlässlich monatlich zehn lesenswerte Bücher, unabhängig von Bestsellerlisten. Nicht die Bücher, die am häufigsten verkauft werden, bestimmen die Liste, sondern eine Jury, bestehend aus 30 namhaften LiteraturkritikerInnen, wählt die Bücher aus, denen sie möglichst viele LeserInnen wünscht.
Lesetipp Leif Randt empfiehlt Peter Handke – Die Angst des Tormanns beim Elfmeter
Handke war 27 Jahre alt, als er "Die Angst des Tormanns" beim Elfmeter 1970 veröffentlichte. Nur zwei Jahre später verfilmte Wim Wenders die Erzählung.
Auch Leif Randts letzter – und ebenfalls sehr wahrnehmungsgetriebener, beschreibungsintensiver – Roman Allegro Pastell wird in Kürze verfilmt.