Der Texaner George Saunders, der ein enger Freund von David Foster Wallace war, galt über Jahre hinweg als ein Spezialist der Short Story – bis er im Jahr 2017 seinen Debütroman „Lincoln im Bardo“ veröffentlichte und dafür prompt mit dem Man Booker Prize ausgezeichnet wurde. Nun gibt es einen neuen Band, der keine literarischen Texte enthält, jedenfalls nicht im engeren Sinne, und der trotzdem sehr viel mit Literatur, deren Entstehung, Interpretation und Analyse zu tun hat. Und das auch noch ausgesprochen unterhaltsam.
George Saunders lehrt seit 1997 Kreatives Schreiben an der Universität von Syracuse. In „Bei Regen in einem Teich schwimmen“ nimmt er sich sieben Erzählungen russischer Meister vor, darunter Tschechows „Auf dem Wagen“, Turgenjews „Die Sänger“, Tolstois „Herr und Knecht“ und Gogols „Die Nase“. Zumeist anhand von Fragen führt er seine Leserinnen und Leser durch diese Erzählungen und wirft dabei ganz grundsätzliche Probleme im Verhältnis zwischen Schreibenden und Lesenden auf: Warum gefällt Dir eine Geschichte? Die einfachste Antwort: Weil ich nach jedem Satz auch gerne den folgenden lesen möchte - „die Eine-Million-Dollar-Frage: Was hält einen Leser, eine Leserin bei der Stange?“
Dies herauszufinden betrachtet Saunders als seinen Auftrag, und wie er uns dabei zusehen lässt, ist in der Tat lehrreich, aber nie belehrend oder gar dünkelhaft. Stattdessen geschmeidig, witzig und eloquent. Und damit alle wissen, wovon die Rede ist, sind die Quellentexte gleich ungekürzt in das Buch aufgenommen worden. Ein Buch mit Mehrwert: große russische Literatur plus deren Interpretation von einem enthusiastischen Leser.
Literatur SWR Bestenliste November
Die SWR Bestenliste empfiehlt seit über 40 Jahren verlässlich monatlich zehn lesenswerte Bücher, unabhängig von Bestsellerlisten. Nicht die Bücher, die am häufigsten verkauft werden, bestimmen die Liste, sondern eine Jury, bestehend aus 30 namhaften LiteraturkritikerInnen, wählt die Bücher aus, denen sie möglichst viele LeserInnen wünscht.