Was für ein Leben! Als junge Frau war sie in der Résistance, wurde später Medizinerin und ging in den Maghreb, um für ein freies Algerien zu kämpfen. Inzwischen ist Anne Beaumanoir 96 Jahre alt. Es gibt sie wirklich!
Literarische Experimente sind das Fachgebiet der Autorin
Die Schriftstellerin Anne Weber ist bekannt für literarische Experimente. Jetzt hat sie ein Heldinnen-Epos geschrieben, über eine bei uns bislang wenig bekannte französische Widerstandskämpferin.
Anne Beaumanoir heißt diese Frau. Sie lebt noch, sie ist 96 Jahre alt, und hat im vergangenen Jahr sogar noch die deutsche Übersetzung ihrer Autobiografie in Deutschland vorgestellt. Jetzt hat Anne Weber deren aufregendes Leben literarisch verarbeitet – und das Experiment ist geglückt.
Weber bedient sich klarer Sprache, ohne ein strenges Versmaß einzuhalten
Was für ein Leben. Was für eine Frau. Und ja - was für ein Buch. Anne Beaumanoir, die Heldin dieses Epos, wird 1923 in der Bretagne geboren und schließt sich als junges Mädchen der Résistance an. Wird Kommunistin, rettet eine jüdische Familie.
In klarer, rhythmisierter Sprache, aber ohne strenges Versmaß, erzählt Anne Weber die bewegte Geschichte dieser Frau. Erzählt, wie die 16jährige Beaumanoir – im Buch heißt sie Annette - in den Widerstand quasi hineingleitet:
Denn wie das meiste
Ist auch das Widerstehen anders, als man es sich
denkt, nämlich kein einmaliger Entschluss,
kein klarer, sondern ein unmerklich langsames
Hineingeraten in etwas, wovon man
keine Ahnung hat. Das Erste, dems
zu widerstehen gilt, das ist man selbst.
Der eignen Angst.
Die Protagonistin widmet ihr Leben dem Kampf für eine gerechte Gesellschaft
Immer wieder überwindet Anne Beaumanoir diese Angst. Agiert im Untergrund, gehört später, mit gerade mal 20, einem Komitee an, das entscheidet, wer mit den deutschen Besatzern kollaboriert hat.
Sie studiert nach dem Krieg Medizin, wird Professorin für Neurophysiologie, heiratet, bekommt drei Kinder. Doch der Kampf für eine gleiche und gerechte Gesellschaft bestimmt ihr Leben. In den 50er Jahren engagiert sie sich für die algerische Unabhängigkeit.
Die Menschen
Sind und bleiben frei und gleich an Rechten:
Ist das nicht eine alte französische Erfindung?
Unter den Kindern, die diesen Grundsatz in der
Schule lernen, gibt es auch einige algerische, und
diese wundern sich dann irgendwann, was das denn
für ein Grundsatz sei, auf den das Land Gott weiß wie
stolz ist, ohne dass man im Geringsten auf ihn
bauen kann. So dass die Kolonisation womöglich
doch was Gutes hat, insofern nämlich, als sie selbst
die Gründe lehrt, sie abzuschaffen.
Anne lebt ein Leben voller Widerstand
Anne Beuamnoir transportiert heimlich Geld für die algerische Unabhängigkeitsbewegung FLN und chauffiert deren Aktivisten durch Frankreich. Sie wird verraten und als „Terroristin“ in Frankreich zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt.
Flüchtet verkleidet nach Tunesien, lebt dort lange Jahre im Exil, getrennt von der Familie. Später baut sie in Algerien das Gesundheitssystem mit auf.
Es ist ein Leben voller Widerstand gegen Ungerechtigkeit, Spitzelei und Gewalt, gegen Folter und Mord – und eines voller Enttäuschungen: Über den französischen Staat, über die Kommunistische Partei, über die algerische FLN. Und über die Menschen, denen Macht mehr bedeutet als politische Ideale.
Weber setzt einer starken Frau ein literarisches Denkmal
Die Grundlage für Anne Webers „Heldinnen-Epos“ waren lange Gespräche mit der heute 96jährigen Anne Beaumanoir, ihre Erinnerungen und ihre Autobiografie. Deren erster Teil ist bereits auf Deutsch erschienen, unter dem Titel „Wir wollten das Leben ändern“.
Anne Weber setzt dieser Frau ein literarisches Denkmal, sprach- und formbewusst. Ihre Erzählerinnen-Stimme ist ernst, manchmal philosophisch, und nah an ihrer Heldin. Auch an deren Irrtümern. Denn manchmal hat sich Annette auf die Falschen eingelassen. Doch wer konnte das damals wissen?
Man schaut zurück – Annette selbst steht
neben sich und schaut zurück aus weiter Ferne –
und glaubt da etwas zu durchschauen, was früher noch
im Nebel lag. Dank unseres Wissen über das, was
längst vergangen ist, aber für Damalige noch in der
Zukunft liegt, glauben wir uns befähigt mitzureden,
den Kopf zu schütteln, anzuprangern. Für den, der
mittendrin ist, liegen die Wege allesamt im Nebel.
Heldinnen gab es schon immer
Aber es gibt auch kleine Anekdoten in diesem Epos, und manchmal kurze, überraschende Bezüge in unsere Gegenwart, zum Recherchieren im Internet, zu Fluchtbedingungen heute.
Anne Weber erzählt in diesem Epos zentrale Kapitel der jüngeren französischen Geschichte – vor allem aber erinnert sie mit diesem Buch daran, dass es immer auch Heldinnen gab und gibt. Faszinierend zu lesen.