Buchkritik

Alban Nikolai Herbst - Die Brüste der Béart. Gedichte

Stand
Autor/in
Carsten Otte
SWR Kultur Literaturkritiker Carsten Otte

Alban Nikolai Herbsts „Die Brüste der Béart“ ist eine Hymne auf die literarische Kunst des Liebens, ein kulturbeflissener Minnesang, der auf Poesie und Polemik gleichermaßen setzt, der die Differenzen der Geschlechter feiert und sich nicht scheut, mit großem Pathos dem heute oft verschmähten Rollenmodell des alternden, heterosexuellen und weiterhin sehnsüchtigen Mannes ein lyrisches Denkmal zu setzen.

Der Text ist eine Kampfansage gegen die Vorstellung, beim Begehren müsse alles glatt verlaufen

Bevor nur eine Zeile in diesem Band gelesen werden kann, müssen die Druckbögen aufgeschnitten werden. Aber selbst mit dem schärfsten Messer gelingen die Schnittkanten nur mäßig; zu ungeübt ist man in dieser alten Kulturtechnik.

Die unsauber getrennten Seiten aber verweisen sogleich auf den Inhalt und die Form dieses ungewöhnlichen Buchs, denn der Text ist eine heftige Kampfansage gegen die Vorstellung, beim Begehren müsse alles glatt verlaufen. Die lyrische Stimme verlässt das, wie es an einer Stelle heißt, „moralische Quartier“, in dem lustfeindliche, aber superkorrekte Regeln durchgesetzt werden.

Dem Titel folgend beginnt Alban Nikolai Herbst dann auch mit einer dezidiert maskulinen Feier weiblicher Wölbungen.

Etwas muß sein an den Brüsten, das nicht Organ ist,
kein Zufluß durch Drüsen, ferne der hoflosen Knospe,
Formgewebe, das Männer, die Mann sind, so nährt
(Aus: Alban Nikolai Herbst - Die Brüste der Béart)

Traditionelle Poesieform und sprachlich schnöde Gegenwart: Alban Nikolai Herbst stellt beides nebeneinander

Der hohe Ton gehört zum poetischen Programm dieses Minnesangs, was nicht heißt, dass der Text keine Variationen böte. Im Gegenteil: Die Ode an den weiblichen Körper mit dem fast schon provokanten Titel „Die Brüste der Béart“ schöpft aus der dichterischen Vielfalt. Geschwärmt und geliebt wird bei Alban Nikolai Herbst nicht nur mit den Maßstäben traditioneller Poesieformen, wir befinden uns auch sprachlich immer wieder in der schnöden wie schönen Gegenwart.

Ich sah sie bei Penny:
Sie schritt die Regale entlang durch mein Gesicht
eine griechische Göttin
Salat und zwei Joghurts
Fettarme Putensalami
allein der Einkaufswagen störte
Tampons, zwei Brötchen
Cola Zero

(Aus: Alban Nikolai Herbst - Die Brüste der Béart)

Schon das Druckbild dieser Passagen zeigt die gegensätzlichen Welten, die hier verhandelt werden: Am Zeilenanfang stehen die Gedanken des Verehrers, die sachliche Szene im Billigdiscounter ist deutlich abgerückt. Das lyrische Ich irrt aber keineswegs nur in der eigenen Sehnsuchtslandschaft umher. Da ist jemand auf der Suche, ist zur Selbstkritik bereit, auch um die neuen Gegensätzlichkeiten zu überwinden. Könnte vielleicht der Rekurs auf die Antike helfen?

Ich sah sie in der Bar, | strahlend vor Dummheit und Gier
Sah hinterm Schalter der Bank sie, besonnt von der Nacht
Ich sah sie am Pariser Platz | Baustellen fotografieren

Topless lag sie am Ufer der Spree, die wie sie ganz Idee war
(ein für alle Mal red ich nicht von der Liebe,
sondern ich rede von Orpheus, Béart)

(Aus: Alban Nikolai Herbst - Die Brüste der Béart)

Wer ist dieses reale Traumwesen namens Béart

Wer ist nun dieses reale Traumwesen namens Béart, das ständig angesprochen und dessen anmutig schöner Körper nicht nur einmal bewundert wird? So genau ist das nicht zu bestimmen, selbst wenn allen literarischen Pfaden in die Geschichte der Verführung bis in die letzten Winkel der Unterwelt gefolgt wird.

Vielleicht landet man bei Emmanuelle Béart, der französischen Schauspielerin, die in Jacques Rivettes Film „Die schöne Querulantin“ an der Seite von Michel Piccoli ein geheimnisvolles Aktmodell spielte. Vielleicht sind diese Bezüge auch nur vergebliche Versuche des Kritikers, diese poetische Figur zu fassen, die doch vor allem eine Allegorie ist.

Die Übergänge von realen und symbolischen Figuren sind bewusst fließend angelegt

Wer sich in der eingehend dokumentierten Biografie des Autors auskennt, wird auch bekannte Namen in dem Buch erkennen, etwa Kavita, die Mutter des gemeinsamen Sohnes, der ein ausgesprochen schöner Lobgesang auf Béarts Haarpracht gewidmet ist. So sind die Übergänge von realen und symbolischen Figuren bewusst fließend angelegt – wie immer im Werk von Alban Nikolai Herbst.

Und streifst Du dein schattiges Circehaar
Rechts hinters Ohr
erkenn ich den ganzen Kosmos, Béart

(Aus: Alban Nikolai Herbst - Die Brüste der Béart)

Manchmal geht es auch etwas derber zu, etwa wenn der Speichelfluss, die Menstruation oder andere Körpersäfte gepriesen werden, und zwar im Stile des Dithyrambos, der altgriechischen Chorlyrik zu Ehren des Gottes Dionysos. Unmöglich alle Anspielungen nach erster Lektüre zu beschreiben, die zuweilen in hebräischer und anderen Schriftzeichen formulierte Feier des Begehrens gänzlich zu entschlüsseln.

Dem Lamento des empörten Sängers gegen die Einebnung der Geschlechter mag man nicht immer folgen

Im freudigen Geheimnisvollen liegt die Stärke dieser 33 Kanzonen. Meckert die Minne aber allzu deutlich über das „entfettete Leben, sterilisiertes, lactosefrei light und entglutet“, fehlt dem kalauernden Sprachspiel mit fehlendem Weizenkleber, in dem die mangelnde Leidenschaft steckt, doch die Ambivalenz. Auch dem Lamento des empörten Sängers, der gegen die Einebnung der Geschlechter wettert und sich und seinesgleichen längst verstoßen, gar „verpönt“ sieht, mag man nicht immer folgen.

wenn sie uns in die Gräben treiben,
damit wir letzten Raben schweigen
und treffen nur als Gleiche noch | unerkennend aufeinander,
dürfen Deine Brüste uns, (…)
nicht länger mehr, Béart, berauschen

(Aus: Alban Nikolai Herbst - Die Brüste der Béart)

Solche Schwarzmalerei gehört vermutlich zur lyrischen Figurenrede und ist insofern konsistent. Überzeugender sind dennoch Momente poetischer Klarheit, die Grundrätsel liebender Menschen benennen, insbesondere bei jenen, die viele Jahre einander zugetan sind.

Da wird deutlich, dass Herbst, der mittlerweile als randständiger Schriftsteller gilt (und sich als solcher auch inszeniert), weiterhin zu den Größten seines Fachs gehört.

Dumm drum die ewig Frage,
Liebst Du denn wirklich mich?
Und wie naiv die Klage,
Du siehst nur immer Dich in mir –
Denn wer, Béart, bist Du, bin ich?
Was einer ist und war,
erschöpft sich an dem Wir;
wie wir uns selber sehen,
ist zu verstehen nur als unser eigener Blick,
doch eines Fremdesten auf sich

(Aus: Alban Nikolai Herbst - Die Brüste der Béart)