Eine ARD-Umfrage schlägt gerade hohe Wellen. 20 Prozent der Befragten wünschen sich mehr weiße Spieler in der Nationalmannschaft. Das ist ein Problem – problematisch ist für viele allerdings auch die Umfrage selbst. Zurecht? Ein Anruf bei dem Sozialpsychologen Harald Welzer.
Er finde, dass vieles an der Diskussion „Quatsch“ sei, sagt Harald Welzer am Telefon. Und es ist ja auch irgendwie paradox: Häufig wird von den öffentlich-rechtlichen Sendern kritische Berichterstattung eingefordert. Und das völlig zurecht. Nur scheint das jetzt gerade nicht so richtig in die Zeit zu passen.
Das Momentum ist ein anderes, so kurz vor der Europameisterschaft. Schließlich geht es aktuell darum, „gemeinsam Großes“ zu erreichen, wie Nationalspieler Joshua Kimmich kundtat. Da will man sich natürlich die Stimmung nicht versauen lassen.
Filmemacher Philipp Awounou: „Die Augen nicht vor der Realität verschließen“
Kimmich und Nagelsmann äußern sich kritisch
Was ist passiert: Für die Dokumentation „Einigkeit und Recht und Vielfalt“, die sich mit Rassismus im deutschen Fußball beschäftigt, gab der WDR eine Umfrage in Auftrag, bei der Menschen unter anderem mit der Aussage konfrontiert wurden, in der Nationalmannschaft spielten zu wenige weiße Spieler. Etwa 20 Prozent stimmten dem zu.
Darauf angesprochen, nannte Joshua Kimmich nicht nur das Ergebnis dieser Umfrage rassistisch – er kritisierte auch, es sei „absolut kontraproduktiv“ überhaupt so eine Frage zu stellen. Wer im Fußball aufgewachsen sei, wisse „dass das absoluter Quatsch“ sei.
Der Bundestrainer sprang seinem Rechtsverteidiger zur Seite. Er sei „schockiert, dass solche Fragen gestellt werden – und dass Menschen darauf auch antworten“, so Julian Nagelsmann. So eine „Scheißumfrage“ wolle er nie wieder lesen.
Bei beiden mischte sich die Empörung über das Ergebnis der Befragung also mit dem Unverständnis, ja der Empörung darüber, dass es sie überhaupt gibt.
Auch Ex-Nationalspieler Cacau findet Umfrage tendenziös
Über den ersten Punkt besteht keine Uneinigkeit. Was den zweiten angeht umso mehr. Auch Ex-Nationalspieler Cacau, von 2016 bis 2021 Integrationsbeauftragter des DFB, kritisiert die Umfrage scharf. Er halte die Fragen für tendenziös, sagte er dem Tagesspiegel. Dazu sei die Befragung wenig repräsentativ. Von den etwas über 1000 Befragten könne man nicht auf 80 Millionen Deutsche schließen.
Kann man nicht? Anruf bei Harald Welzer. Der renommierte Sozialpsychologe reagiert genervt, als er diesen Einwand hört. „Immer dieselbe Frage“, schnaubt er. Mit diesem Argument könne man jede Studie verdächtig machen. Wenn die Stichprobe vernünftig zusammengesetzt sei, so Welzer, könne man daraus natürlich auch repräsentative Aussagen ableiten. „Wenn das nicht möglich wäre, gäbe es überhaupt keine Umfragen.“
Harald Welzer verteidigt die Wissenschaftlichkeit der Befragung
Und auch den Vorwurf, die Befragung sei tendenziös, will er nicht gelten lassen. Letztlich berühre das ein klassisches Problem der Umfrageforschung. „Wir leben halt in einem Land, in dem man auf solche Fragen kommt.“
Es sei nie auszuschließen, so Welzer, dass man die Befragten auf Ideen bringe, sie sie vorher nicht gehabt hätten. Aber natürlich zwinge sie niemand dazu, so zu antworten wie sie es getan hätten.
Dass die Umfrage sinnvoll gewesen sei, zeige sich nicht zuletzt an ihrem Ergebnis. Dass 20 Prozent einer rassistischen Aussage zustimmten, sei in jedem Fall bemerkenswert. „Die sollen mal nicht so tun, als sei die Fußballwelt heile“, so Welzer mit Blick auf den DFB.
Auch die Medienkritik, die in der Diskussion über die Umfrage mitschwingt, teilt der Sozialpsychologe nicht.
Cacau ärgerte sich etwa über die Darstellung der Ergebnisse. Anstatt die 20 Prozent in den Vordergrund zu stellen, die sich mehr weiße Spieler in der Nationalelf wünschten, hätte man genauso gut auf die zwei Drittel verweisen können, die es gut finden, dass viele Nationalspieler einen Migrationshintergrund haben. Man habe mit der Umfrage in erster Linie „für Aufsehen sorgen“ wollen, schließt Cacau daraus – darin augenscheinlich einig mit der FAZ, die der Doku den Vorwurf macht, sie veranstalte einen „Skandalpopanz“.
Welzer findet das Vorgehen von Filmemacher Awounou „journalistisch vorbildlich“
Welzer hält das für ein „bescheuertes Argument“. Der WDR habe mit den Ergebnissen schließlich keinen „Klamauk“ veranstaltet. Im Gegenteil – die Kommunikation des Senders sei sachlich und seriös.
Tatsächlich begegnete die Aussage, es spielten zu wenig Weiße in der Nationalmannschaft, dem Journalisten Philipp Awounou zunächst im Rahmen der Recherche zu seiner Doku „Einigkeit und Recht und Vielfalt“. So erzählt er es auch im Interview mit SWR Kultur. Um herauszufinden, ob dahinter mehr als eine Einzelmeinung steckt, gab er die Umfrage in Auftrag. Das sei „journalistisch vorbildlich“, so Welzer.
Dass in der medialen Darstellung der Umfrage der Fokus auf die rassistischen Einstellungen gesetzt werde, findet er auch völlig verständlich. „Da bin ich mal gespannt auf die Wahlberichterstattung, wenn es heißt: Ist doch alles super, 65 Prozent der Deutschen haben nicht die AfD gewählt,“ kommentiert er lakonisch. Und dann fügt er noch hinzu: „Das Problem wird nicht kleiner, wenn man es nicht zur Kenntnis nimmt.“
Die Doku "Einigkeit und Recht und Vielfalt" von Philipp Awounou wird am 5.6. um 21:30 Uhr in der ARD ausgestrahlt. Schon jetzt ist sie in der ARD-Mediathek verfügbar.
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