Ab dem 4. Januar 2022 könnte es vorbei sein mit der bunter Farbenpracht unter der Haut: Dann tritt die neue REACH-Verordnung der EU in Kraft, die zahlreiche Tätowierfarben verbietet. Tätowierer*innen fürchten um ihr Geschäft, Tattoofans sind in Sorge um ihren Körperschmuck. Welche Konsequenzen bringt REACH mit sich?
Was besagt die REACH-Verordnung?
Die EU-Chemikalienverordnung REACH (Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals) dient „dem Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt vor den Risiken, die durch Chemikalien entstehen können“ und kommt von der Europäischen Chemikalienagentur ECHA. Die Verordnung, die bereits im Dezember 2020 beschlossen wurde, soll einen EU-einheitlichen Standard für Tätowiermittel schaffen, wo bislang länderspezifische Verordnungen galten.
REACH begrenzt unter anderem ab dem 4. Januar 2022 die Nutzung bestimmter Bindemittel sowie Inhalts- und Konservierungsstoffe in Tätowierfarben. Davon betroffen ist auch die Verwendung der Farbpigmente „Blau 15“ und „Grün 7“, die mit Ausnahme von Schwarz- und Weißtönen in allen Tattoofarben vorkommen. Die beiden Pigmente sind jedoch vorerst in einer Übergangsphase bis 2023 erlaubt.
Ein mögliches Krebsrisiko ist nicht wissenschaftlich belegt
Hintergrund für die Empfehlung der ECHA ist, dass „ein Krebsrisiko und mögliche sonstige Gefahren“ nicht ausgeschlossen werden können. Seitens der ECHA beruft man sich auf Statistiken, die von jährlich über 1.000 Fällen chronischer allergischer Reaktionen und verschiedener Hautreaktionen aufgrund von Tätowierungen und Permanent Make-up berichten. Außerdem legen laut ECHA Studien nahe, dass Pigmente in Organe wie Leber und Lymphknoten gelangen können und so potenzielle Langzeitschäden nicht auszuschließen sind.
Das Deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung veröffentlichte bereits im September 2020 eine Stellungnahme, in der auf Daten hingewiesen wird, die auf vergleichsweise geringe Toxizität hindeuten. Seitens des Bundesinstituts für Risikobewertung besteht daher kein Handlungsbedarf, die Pigmente zu verbieten. Die Tattoobranche verweist auf diese Stellungnahme und sieht das Verbot auf Basis einer nicht ausreichenden Datenlage bestimmt. Außerdem wird bemängelt, dass REACH ohne Einbindung der Tattoo-Branche beschlossen wurde.
Einen möglichen Ersatz für die Farbpigmente gibt es bislang noch nicht
Nach aktuellem Stand werden rund zwei Drittel der Tätowierfarben durch die Verordnung vom Markt verschwinden, nur Schwarz- und Grautöne sind aktuell mit REACH kompatibel. Zwar gibt es vereinzelt Hersteller, die REACH-konforme Produktserien angekündigt haben, jedoch verweisen sie explizit darauf, dass die Farben nicht vergleichbar mit der bisherigen Produktpalette sind. Außerdem sind bei weitem nicht alle Farbtöne abgedeckt, Qualität und Haltbarkeit der Farben sind zudem nicht getestet.
Für 2023, wenn die beiden Farbpigmente „Blau 15“ und „Grün 7“ verboten sein sollen, sieht es in der Tattooindustrie noch schwärzer aus: Bislang gibt es keinerlei möglichen Ersatz für die Farben. Ein Ende bunter Tattoos in der EU wäre somit denkbar.
Die Tattoo-Branche befürchtet erhebliche Umsatzeinbußen
Die Tattoo-Branche wurde durch das Coronavirus stark ausgebremst, während der Lockdowns galt für „körpernahe Dienstleister“ für viele Monate ein Arbeitsverbot. Das Wegfallen der nahezu kompletten Farbpalette könnte der nächste herbe Rückschlag für die Tätowierer*innen sein. Das Wegbrechen des Farb-Segments würde für zahlreiche Tattoostudios enorme finanzielle Verluste bedeuten, die schnell existenzbedrohend werden können, so Insider.
Dass es keine Langzeitstudien über die vermeintlichen Gesundheitsschäden der Inhaltsstoffe gibt, sorgt für immer mehr Unmut bei den Tätowierer*innen: Sie sehen ihren gesamten Geschäftszweig durch REACH bedroht – ohne wirklichen Anlass.
Eine Petition gegen das Verbot der Pigmente
Die Tattoobranche fürchtet sich zudem vor einem aufkeimenden Schwarzmarkt, den die EU-Richtlinie befeuern könnte. Während in offiziellen Tattoostudios strenge Hygieneregeln gelten, entfiele dieser Qualitätsstandard, wenn sich Leute ihr Tattoo schwarz stechen ließen. Außerdem sei die Neuformulierung möglicher Alternativprodukte innerhalb eines Jahres heikel, da keine langfristigen Testungen möglich seien.
Die REACH-Verordnung würde damit das Gegenteil vom eigentlich angestrebten Ziel erreichen. Auch eine mögliche Verlagerung des Geschäfts in Nicht-EU-Staaten wird befürchtet: Fans von bunten Tattoos würden künftig sich einfach im Ausland tätowieren lassen. Eine Petition soll nun für eine Neubewertung durch die ECHA sorgen und zumindest das Verbot der beiden Farbpigmente auf Eis legen.