Protestbewegungen wie die „Letzte Generation“ werden kritisiert und mit Strafen belegt. Auch wenn direkter Erfolg ausbleibt, kämpfen sie weiter. Woher nehmen sie die Kraft? Ein Beitrag der ARD-Sommer-Reihe „Wofür ich lebe“ in der ARD Audiothek.
12 Uhr am Terminal 3 des Stuttgarter Flughafens: Auf einmal fallen mehr als einhundert Menschen zu Boden und liegen da, als wären sie tot. Zwei weitere schreiten mit einem schwarzen Tuch in Form eines Sargs und trauriger Mundharmonika-Musik zwischen ihnen umher. Es sind Klimaaktivisten der Letzten Generation.
Die Passagiere reagieren erst verstört und schieben ihre Rollkoffer dann genervt zwischen den Aktivisten hindurch. Die sind inzwischen aufgestanden und kommen singend zusammen. „Uns geht es nicht darum, die Leute direkt zu kritisieren“, versichert Sophia, eine der Aktivistinnen. „Es geht uns nur darum, an dem Ort zu protestieren, der symbolisch für den Klimawandel steht und damit weiterhin die Regierung und die Politik zu adressieren, da strukturell etwas zu ändern.“
Protestieren, anstatt zu stören?
Die junge Frau mit wachen, blauen Augen und Holzperlen in den Dreads sei schon in der Schulzeit auf die Arbeitsbedingungen von Menschen im Globalen Süden und die Ausbeutung der Welt aufmerksam geworden, sagt sie. „Das hat mir ziemlich zu schaffen gemacht“, sagt die 21-Jährige. Sie habe versucht, erst direkt darauf zu reagieren, indem sie Bio- und Faitrade-Produkte einkaufte, sich vegan ernährte, mit dem Fahrrad zur Schule und mit dem Zug in den Urlaub fuhr.
Aber „man landet dann irgendwann in so einer Hilflosigkeit“, sagt sie. Weil sie gemerkt habe, dass sie mit ihren individuellen Änderungen in einem wenig nachhaltigen System kaum etwas bewirken kann. Daher schloss sie sich erst Fridays for Future an, und als die Aufmerksamkeit für sie schwand, der Letzten Generation.
Sophia und die anderen Klimaaktivisten sind überzeugt: Es muss sich schnell etwas ändern. Tatsächlich warnen renommierte Wissenschaftler vor jeder Gradänderung. Schon jetzt drohe der Menschheit zum Ende des Jahrhunderts ein Meereswasserpegelanstieg von bis zu 1,6 Metern, Hitzewellen einerseits und Überschwemmungen andererseits.
Im europäischen Mittelmeerraum wird es zu Wassermangel und Wüstenbildung kommen, schreibt das Umweltbundesamt unter Berufung auf internationale Studien. Aus diesem Gefühl der Dringlichkeit heraus handeln die Aktivisten, deshalb kleben sie sich auf Straßen und Flughäfen, beschmieren Flugzeuge und Denkmäler. „Protest muss stören“, sagt Sophia.
Klimaaktivisten beschimpft als „Klima-RAF“
In Teilen der Gesellschaft stoßen sie damit auf wenig Verständnis, werden als „Klima-RAF“ und „Klimaterroristen“ beschimpft. Am Flughafen sind die Reaktionen gemischt: „Ich verstehe das, aber ich muss fliegen, weil ich mit dem Zug morgen früh nicht in Prag ankomme“, sagt eine Frau. Ähnlich geht es einem anderen Reisenden, der auf dem Weg in den Canada-Urlaub ist: „Ich find’s bisschen lächerlich am Flughafen zu protestieren. Die Leute, die fliegen halt in Urlaub, die wissen ja, dass es nicht gut ist, und jetzt machen die hier so einen großen Kasper“, beschwert er sich und fügt hinzu: „Aber die haben ja schon einen Punkt.“
Activist-burnout & Frustration
Für Sophia und die anderen sei das frustrierend. Viele der Aktivisten und Aktivistinnen haben ihr Leben für den Protest umgekrempelt. Sophia studiert jetzt im Fernstudium, und schreckt auch vor Aktionen nicht zurück, bei denen die Strafen so hoch sind, dass sie sich lebenslang verschulden könnte – etwa als sie ein Privatflugzeug mit Farbe besprayt hat.
Da sie trotz des Einsatzes viel Ablehnung erfahren und beobachten müssen, dass sich dennoch wenig ändert, kann ermüden. „Es ist frustrierend, aber ich mache den einzelnen da keinen Vorwurf“, sagt Sophia. „In einem System, das nicht nachhaltig ist, ist es für den Einzelnen oft superumständlich und teilweise extrem teuer, das halbwegs nachhaltig hinzukriegen.“
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Viele Menschen halten die Frustration nicht mehr aus
Es gibt auch Menschen, die diese Frustration nicht mehr aushalten, die Geld- und Gefängnisstrafen, die mit den Straßenblockaden teilweise einhergingen, nicht mehr ertragen wollen oder können, die ausbrennen, weil sie zu viel Energie in den Protest stecken. Einer davon ist Benni, ein junger Stuttgarter Anfang 30, der für ein halbes Jahr eine Pause einlegte. „Ich habe es immer für wahrscheinlicher gehalten, dass es einen großen Widerspruch in der Gesellschaft gibt und unsere Aktionen nicht zum Erfolg führen“, sagt er.
Er habe sich dennoch engagiert, „Die Lage ist so düster, und es passiert so wenig für Klimaschutz und es gibt immer noch ein großes Unwissen darüber, in welcher Lage wir uns befinden und in welche Lage wir noch kommen, dass ich das Gefühl hatte: Sogar so eine, ich sage mal, Hochrisiko-Form ist angemessen dafür.“ Als die mediale Öffentlichkeit im vergangenen Sommer aber auf die Klimaproteste, bei denen Aktivisten und Aktivistinnen der Letzten Generation auch im Gefängnis landeten, nicht mehr reagierte, da hätten die Zweifel überhandgenommen, berichtet er. Benni stieg für eine Weile aus.
Kreativer Protest statt Straßenblockade
Am Flughafenprotest an diesem Tag ist Benni wieder mit dabei, weil ihm der Klimaprotest weiter wichtig ist und er weiterhin glaubt, dass sich viel mehr ändern müsse. Etwas hat sich inzwischen geändert: „Ich wäge ab“, sagt er. Er überlegt sich davor, ob er mit der Aktion Aufmerksamkeit generieren kann, und wie hoch das Risiken ist.
Die Aktion am Flughafen gehört zu einer neue Form des Protest der Letzten Generation: Anstatt sich auf Straßen zu kleben oder Kunstwerke mit Farbe zu beschmieren, setzen die Aktivistinnen und Aktivisten jetzt auf sogenannte „ungehorsame Versammlungen“. So hoffen sie, weniger zu stören und doch weiterhin aufzufallen.
Die Hoffnung bleibt
Sophia greift zum Megafon und hält eine kurze Rede. Währenddessen breitet eine kleine Gruppe Sonnenschirme und Handtücher aus, als lägen sie am Strand, nicht am Flughafen. An der Empore des Flughafens hängen die Protestierenden Banner mit ihren Slogans auf, und werfen Papierflugzeuge mit ihren Forderungen. „Keine Privatjets“, „keine Kurzstreckenflüge“, steht darauf. Damit, hofft Benni, schaffen sie es wieder in die Medien und ins Bewusstsein der Menschen. Und Sophia sagt: Sie werde weitermachen, solange es geht. „Solange es physikalisch möglich ist, das Schlimmste auszubremsen, solange wir das Eintreten von Kippunkten noch verhindern können.“
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