Das Landesmuseum Württemberg in Stuttgart widmet sich der Geschichte von 500 Jahren Protest: Historisches wie blanke Hinterteile im Bauernkrieg und Zeitgenössisches wie ein altes Auto, das zum Demolieren freigegeben ist, spannen einen großen Bogen vom 16. Jahrhundert bis zur Online-Petition.
Protestieren als Privileg
Immer diese Proteste, wie nervig! Ob Treckersternfahrt, Querdenker, Lokführer oder Fridays for Future; von den unkaputtbaren Stuttgart-21-Gegnern ganz zu schweigen – ständig steht, sitzt, klebt, skandiert oder trillerpfeift irgendeine Protest-Gruppe im öffentlichen Raum, allein in Stuttgart im letzten Jahr sage und schreibe 1702 mal in Form angemeldeter Demos.
Wer das so langsam nur noch lästig findet, dem sei die große Protest-Ausstellung im Landesmuseum Württemberg empfohlen. Dort wird greifbar, dass Protestieren ein Privileg ist, hart erkämpft.
Falsche Konfession und falsches Geschlecht
Zum Beispiel vor genau 500 Jahren von Magdalena Scherer, Geschäftsführerin eines Badhauses in Stuttgart.
„Dort kamen auch die Leute hin, um sich auszutauschen. Es war ein sehr, sehr geselliger Ort, wo natürlich auch Gerüchte kursierten, also ja sehr tumultig. Und sie hat dort die Bücher geführt und war eine sehr engagierte Person“ erzählt Kuratorin Sarah Happersberger.
Im Hauptstaatsarchiv ist verzeichnet, dass Magdalena Scherer lutherischen Glaubens war, also 1524 im vorwiegend katholischen Stuttgart zu den doppelt Diskriminierten gehörte: Falsche Konfession, falsches Geschlecht.
Berufsverbot und Isolationshaft für den Protest
Happersberger erklärt: „Eine der Forderungen im Bauernkrieg war ja auch Religionsfreiheit, das heißt, sie gehörte auch zu den Menschen, die benachteiligt waren. Auch einfach als Frau, weil sie sehr viel weniger Möglichkeiten hatte als Männer, sich gesellschaftlich einzubringen.“
Was die resolute Dame freilich nicht stoppte. Die Akten berichten, dass Scherer mit einem Aufgebot von Frauen auf der Stadtmauer demonstrierte, und dass sie auf der Gasse ihr Hinterteil entblösste, um die Obrigkeit zu verspotten.
Da war dann Schluss mit lustig. Magdalena Scherer bekam Berufsverbot und eine Art Isolationshaft ohne Gitter: außer dem Gottesdienst war ihr fast jeder menschliche Umgang verboten, bei Todesstrafe.
Massenmedien als zentrales Element
Magdalena Scherer war vor 500 Jahren bereits eine Schwester in Geiste von Pussy Riot, und verblüffend modern waren die Umstände des Bauernkriegs auch in anderer Hinsicht: Zum ersten Mal spielten Massenmedien eine zentrale Rolle bei der Vernetzung und Mobilisierung der Aufständischen – und zwar in Form von gedruckten Flugblättern, preiswert produziert an einem Dutzend Orten zwischen Zürich und Zwickau.
Welchen Einfluss hat Gruppendynamik?
Die Ausstellung durchquert die Jahrhunderte bis zu Protestbewegungen der Gegenwart mit Online-Petition und Hashtag. Vor dem Riesenschriftzug „WUT“ steht ein alter VW Golf, freigegeben zum Demolieren.
Noch ist die Karosserie intakt, aber mal sehen, was hier noch passiert, wenn die gewaltsame Seite von Protest explodiert, mitsamt der dunklen Dynamik der Menge, sagt Kuratorin Maaike van Rijn.
„Hier ist vor allem auch interessant zu sehen: Welche Rolle spielt es, wenn meine zehn Kumpels jetzt noch hier drumherum stehen? Wie verhalte ich mich in einer Gruppe? Ist es eben auch eine Möglichkeit zu zeigen, boah ich kann das, ich mache hier voll die Delle rein. Oder ist es was, wo ich mich irgendwie zurückziehe?“
Streit mit einer schlecht gelaunten Wolke
Rückzug vom Protest-Stress ist auch noch auf andere Weise möglich: Indem man nach nebenan geht in die Kinder-Ausstellung zum gleichen Thema, zupackend betitelt „Zoff“.
Da kann man nach Herzenslust streiten mit einer kleinen, schlecht gelaunten Wolke, die lautstark auf jeden reagiert, der ihr zu nahe kommt.
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