Sollte der Wikileaks-Gründer Julian Assange sterben, droht der russische Künstler Andrej Molodkin damit, Kunst im Millionenwert zu zerstören. Was steckt hinter der Aktion mit dem Titel „Dead Man's Switch“?
Stirbt Assange, zerstört sich die Kunst
16 bedeutende Kunstwerke, unter anderem von Picasso, Rembrandt und Warhol, werden derzeit zur Verhandlungsmasse. Sie sind in einem Tresor in den französischen Pyrenäen eingeschlossen, der die Größe der Gefängniszelle von Julian Assange hat. Mit einem Zeitzünder versehen, sollen sie mit einem Chemikaliengemisch zersetzt werden, sobald 24 Stunden kein Lebenszeichen des Wikileaks-Gründers zu vernehmen ist. „Dead Man's Switch“ nennt der russische Künstler seine Aktion, bei der Kunstwerke in Geiselhaft genommen werden.
Molodkin möchte so darauf aufmerksam machen, „dass Kunst zu zerstören ein größeres Tabu ist, als das Leben eines Menschen zu zerstören“, sagte er gegenüber Sky News.
Picasso, Warhol und Rembrandt als „künstlerisches Schutzschild“
Der Wert der Bilder liegt laut Andrej Molodkin bei rund 45 Millionen US-Dollar, wie er im Gespräch mit Sky News erzählt. Julian Assanges Frau Stella nannte die Aktion ein „künstlerisches Schutzschild“, das ihr Mann befürworte.
Die Kunstwerke stammen entweder von Künstlern wie Andres Serrano, Franko B, Molodkin selbst, oder von Sammlern. Ein heikles Unterfangen. Nicht alle waren von der Aktion begeistert: Wie das Monopol-Magazin unter Berufung auf Molodkin schreibt, habe Marina Abramović „sofort Nein gesagt, als er sie um eine Arbeit bat“. Ai Weiwei habe seine Zusage zurückgezogen.
Ein Jahr lang habe Molodkin für die Aktion „Dead Man's Switch“ geworben, schreibt Monopol.
Anna Schober, Professorin für Visuelle Kultur an der Universität in Klagenfurt über die Aktion:
Nach 24 Stunden Funkstille entsteht zerstörerischer Dampf
Um welche Werke es sich im Detail handelt, verrät Molodkin nicht. Das Magazin „The New Yorker“ kennt laut eigenem Bekunden einige Werktitel, hatte Einsicht in Dokumente und überprüfte sie auf ihre Richtigkeit.
Sollte Julian Assange freikommen, wird Molodkin die Kunst wieder aus dem Tresor befreien und den Eigentümern zurückgeben.
Ist aber 24 Stunden lang kein Lebenszeichen von Assange zu hören, was über eine Informationskette ins Umfeld des Whistleblowers sichergestellt werden soll, zerstört sich die Kunst im Tresorraum. Jeden Morgen startet der 24-Stunden-Countdown aufs Neue, erst wenn jemand Entwarnung gibt, stoppt er, wie der „Guardian“ schreibt.
Der Zünder wird dann einen Mechanismus auslösen, der zur Vermischung zweier Chemikalien führt, was wiederum heißen, zerstörerischen Dampf entstehen lässt. Normalerweise werden mit dieser Technik vertrauliche Dokumente geschützt, die sich in jenem Moment selbst zerstören, sobald sich jemand widerrechtlich Zugang zu ihnen verschaffen möchte, führt das Monopol-Magazin aus.
Andrej Molodkin sorgt für Aufsehen in der Kunstwelt
Es ist nicht das erste Mal, dass der 58jährige Andrej Molodkin mit einer Kunstaktion für Aufsehen sorgt: 2022 übergoss er unter dem Titel „Putin Filled with Ukrainian Blood“ ein Putin-Hologramm mit dem Blut ukrainischer Soldaten.
2009 zeigte er unter dem Titel „Le Rouge et le Noir“ im russischen Pavillon auf der 53. Venedig-Biennale eine gläserne Skulptur der Nike von Samothrake, durch die sowohl das Blut eines russischen Soldaten als auch tschetschenisches Erdöl floss. Das Werk löste in Russland einen Skandal aus, die russische Kuratorin Olga Sviblova kritisierte den Künstler scharf, ließ einen Erklärtext aus dem Pavillon entfernen und Molodkin wurde in der Folge verboten, mit der Presse zu sprechen.
„Ich möchte keine Kunst zerstören und ich glaube auch nicht, dass es nötig wird“, sagt Andrej Molodkin gegenüber dem Guardian. Doch es gebe so viel Gewalt und Krieg auf der Welt, etwa in Gaza oder der Ukraine, da sei Rede- und Meinungsfreiheit besonders wichtig, um überhaupt verstehen zu können, was passiert, führt der Künstler weiter aus.
„Lieber ein Assange als ein extra Picasso“
Können Kunstwerke am Ende die Freiheit von Julian Assange bewirken? Die Gefährten von Andrej Molodkin scheinen davon vielleicht nicht zwingend überzeugt, doch den Versuch ist es ihnen offenbar wert.
Giampaolo Abbondio, Besitzer einer Galerie in Mailand, erklärt gegenüber Sky News, warum er einen Picasso zu „Dead Man's Switch“ beigesteuert hat: „It’s more relevant for the world to have one Assange than an extra Picasso“.
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