Der vor einem Jahr verstorbene Dokumentarfotograf Ivo Saglietti hat drei Mal den World Press Award gewonnen und war 20 Jahre Mitglied der Agentur „Zeitenspiegel“. Die Städtische Galerie Fellbach zeigt in einer Retrospektive seiner humanistischen Fotografien.
Aus Perspektive der einfachen Leute
Pinochet ist ein Zwerg. Winzig klein steht der chilenische Diktator an einem Fenster seines Regierungspalastes. Die eigentlichen Protagonisten sind Polizisten, die da Wache stehen, wo auch der Fotograf Ivo Saglietti die Szene eingefangen hat – down to earth, unten auf der Straße, bei den kleinen Leuten.
Das Foto vom Geburtstag des Gewaltherrschers ist das erste, worauf der Blick fällt, wenn man Sagliettis Ausstellung im Rathaus Fellbach betritt.
„Ihm ging es immer um das Menschliche. Anstelle der Macht hat er sich angeschaut, was die Konsequenzen dramatischer Ereignisse wie Gewalt, Seuchen und Kriege für einfache Leute sind. Sein Blick auf die Menschen war immer sehr respektvoll“, sagt die Turiner Kuratorin Tiziana Bonomo.
Viel internationale Anerkennung
Sie hat Saglietti Mitte der 90er Jahre kennengelernt, als er bereits einen von drei World Press Awards seiner Karriere gewonnen hatte. Mit konventionellem Bildjournalismus hatte das schon damals kaum noch zu tun.
Zuvor hatte Saglietti einige Jahre Geschichten für die New York Times, Paris Match, Stern und Spiegel fotografiert, aber Zeitdruck und Oberflächlichkeit der Branche gingen ihm gegen den Strich.
„Es braucht Zeit für gute Bilder. Langsamkeit wurde seine fotografische Philosophie. Wenn er irgendwo hinkam, hat er am ersten Tag die Kamera gar nicht rausgeholt, sondern ist nur rumgelaufen, hat geschaut, mit den Leuten vor Ort gesprochen. Erst am Tag danach hat er mit dem Fotografieren begonnen“, sagt Tiziana Bonomo.
Saglietti muss ein rigoroser Dickschädel gewesen sein, zum Glück für sein Werk. Solche Bildautoren mögen sie in der Remstaler Agentur „Zeitenspiegel“, wo eine selbstbewusste Autoren-Fotografie mit gesellschaftskritischem Anspruch gepflegt wird.
Um sich das leisten zu können, bietet die Agentur auch Fotografie für Firmenkunden – was mit Ivo Saglietti allerdings nie zu machen war.
Zwei Jahrzehnte für den „Zeitenspiegel“ unterwegs
Uli Reinhard vom „Zeitenspiegel“ erzählt, wie Saglietti 2004 für seine Langzeit-Serie über Palästina zur Beerdigung von Jassir Arafat fuhr: “Wir dachten, wenn er jetzt eh schon dort wäre, dann könnte er gleich die Filiale von Mercedes in Haifa fotografieren. Er kam mit entsetzlichen Bildern zurück, wir mussten noch mal jemand hinschicken. Wenn man Ivo aber machen ließ, wenn man ihn seine Themen wählen ließ, dann bekam man begnadete Bilder.“
Konsequent schwarz-weiß
Das bestätigt die Ausstellung in Fellbach auf beeindruckende Weise. Ivo Saglietti hat ein sensationelles Gespür für Konstellationen von Menschen, Dingen, Licht und Schatten.
Seine konsequent schwarz-weiße Fotografie ist ganz großes Kino, ein Breitwand-Epos von menschlichem Leiden, von Cholera in Peru und dem höllischen Alltag in Haiti bis zum Genozid in Srebrenica und dem Flüchtlingslager Idomeni auf der Balkanroute.
„Als er uns fragte, ob wir ihn nicht nach Idomeni schicken könnten, da sagten wir Ivo, dass es da so viele Fotografen gibt, dass er nicht auch noch hin muss. Er hat sich das angehört, anschließend sein Motorrad verkauft und ging mit diesem Geld nach Idomeni. Das waren die besten Bilder, die ich je von dem Ort gesehen habe“, berichtet Uli Reinhard.
In Fellbach sind jetzt 53 Bilder aus circa 30 Jahren zu sehen. Tiziana Bonomo arbeitet an einem großen Bildband zu Sagliettis Gesamtwerk. Ihr Antrieb ist ein Satz des Fotografen, den man sein Vermächtnis nennen könnte:
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