2021 zerstörte die Flutkatastrophe im Ahrtal Baudenkmäler, historische und moderne Kunst. Kunstschaffende der Are-Gilde, der ältesten Künstlervereinigung von Rheinland-Pfalz, waren ebenfalls betroffen, ein Großteil ihres Werks und der Ateliers sind zerstört. Doch unter die Trauer mischt sich Aufbruchstimmung.
Gemälde aus dem Schlamm gerettet
In der Alten Druckerei in Sinzig präsentiert Margarete Gebauer, Künstlerin aus Bad Bodendorf, großformatige Gemälde. Darunter monumentale Frauenfiguren in erdigen Pastelltönen.
Porträts, die Gebauer aus ihrem überschwemmten Souterrain retten konnte. Sie sind aufwendig gearbeitet: „Die kann man auch abwaschen, die sind so gut fixiert.“ Die Vorderseite eines Frauen-Akts zeigt keine Spur des Hochwassers.
Doch auf der Rückseite der Baumwoll-Leinwand deutet eine zarte Linie an, dass das Bild bis zur Hälfte im Wasser stand. „Das habe ich ganz schnell rausgeschleppt und abgewaschen, mit Regenwasser – war ja kein Wasser da. Schlamm rausgekratzt.“
Viel landete auf dem Sperrmüll
Die 77-Jährige, die der lokalen Künstlervereinigung Are-Gilde angehört, hat den Humor wiedergefunden. Selbst wenn die Flutkatastrophe einen Großteil ihres Oeuvres vernichtet hat.
„Objekte sind kaputt, denn das flog ja wie nach dem Erdbeben durcheinander. Viele Tonarbeiten, die sind kaputt. Oder Installationen - so beschädigt und so verschmutzt. Die habe ich raus auf den Sperrmüll. Und Bilder waren auch kaputt.“
Verlust von Menschen wiegt schwerer
Dieter Droth, Fotograf aus Bad Neuenahr-Ahrweiler, verlor in der Flutnacht alle im Keller aufbewahrten analogen Bilder. Viele davon in Guatemala aufgenommen, wo er acht Jahre lang als Lehrer gelebt hatte.
Schlimmer als der Verlust unersetzlicher Fotografien war für Droth: „Bei uns im Haus sind zwei ältere Leute über 90. Die sind leider ertrunken. Die habe ich am nächsten Morgen tot geborgen in der Wohnung.“ erzählt der Fotograf am Rande einer Ausstellung der Are-Gilde im Mainzer Landtag.
Heilende Kraft der Kunst
Die Gilde ist eine Vereinigung von Künstlern und Künstlerinnen aus dem Ahrtal und der Umgebung. Ein Forum, in dem sie Ausstellungen gemeinsam konzipieren und sich gegenseitig unterstützen.
„Wir haben in der Künstlergemeinschaft Leute, die ungeheuer betroffen sind, die ihr ganzes künstlerisches Schaffen verloren haben und immer noch traumatisiert sind“, sagt der Bildhauer Otto Kley. „Und trotzdem: Sie fangen alle wieder an und gestalten wieder. Es sind nur noch ganz wenige, die noch nicht in der Lage sind, wieder kreativ zu arbeiten.“
Um die Katastrophe zu bewältigen, stürzte sich Dieter Droth nicht sofort in die Kunst-Fotografie. Sondern: „Ich wollte das dokumentarisch festhalten, was wir erlebt haben. Das hat mir auch geholfen, das zu erfassen. Denn noch heute, wenn ich die Bilder im Kopf nacherlebe, habe ich das Gefühl: Das gab es nicht.“
Trauer, Wehmut und Wut in vielen Werken
Trauer und Wehmut prägen viele Kunstwerke der Are-Gilden-Künstler. Wie die Bilder zerstörter Ahr-Brücken. Aber auch Aufbruchsstimmung und politische Botschaften sind zu finden.
Antje Schlaudt, Künstlerin aus dem nicht flutbetroffenen Remagen am Rhein, hat ein sitzendes rotes Teufelchen mit einem Goldschatz modelliert.
„Das ist der Pate der Politik, was auch an diesem Goldhaufen zu erkennen ist und den Dollarzeichen. Vieles Politische entscheidet sich über das Monetäre, auch im Ahrtal.“ Viele Gelder seien nicht an die entsprechenden Stellen oder die Betroffenen geflossen.
„Seelengärten“ gegen das Vergessen
Die Sorge, das Ahrtal könnte vergessen werden, teilen die Künstler der Are-Gilde. Vor dem Vergessen bewahren will Margarete Gebauer die 135 Toten der Flutkatastrophe. „Seelengärten“ möchte sie ihnen widmen, luftige Begegnungsorte, an denen Menschen Trost finden.
„Die Seelengärten sollten unter den Menschen sein, damit die Seelen sich da aufhalten können. Sie sollten sehr schön gestaltet werden, mit japanischer Kirschblüte am liebsten, mit bunt gestalteten Bänken.“
Suche nach kommunalen Grundstücken
Dafür sucht Gebauer nach Orten, und zwar auf kommunalen Grundstücken im Ahrtal. Unweit der Alten Druckerei späht die Künstlerin durch einen Bauzaun auf ein Abrissgelände, das ihrer Heimatstadt Sinzig gehört.
Der Bürgermeister von Müsch an der Oberen Ahr könnte sich einen Seelengarten vorstellen. An der Ruine der flutverwüsteten Alten Schule. Nun sucht Gebauer Sponsoren. Beim Land Rheinland-Pfalz kann sie Fördermittel für ihr Projekt beantragen.
Drei Jahre nach der Flut
Sprechen wir über Mord?! Die Flutkatastrophe im Ahrtal – True Crime | Warum kommt Johannas Tod nicht vor Gericht?
135 Menschen sterben bei der Flut im Juli 2021 im Ahrtal. Darunter die 22-jährige Johanna Orth. Der zuständige Landrat lässt seinen Krisenstab allein und kümmert sich vor allem um sich selbst. Die Staatsanwaltschaft verzichtet trotzdem auf eine Anklage wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen.
Holger Schmidt und der frühere Bundesrichter Thomas Fischer diskutieren über Verantwortung und Strafbarkeit.
Zu Johannas Schicksal und zur Flut im Ahrtal gibt es außerdem diesen SWR-Podcast, den wir von "Sprechen wir über Mord?!" sehr empfehlen: "Die Flut - Warum musste Johanna sterben?"
https://www.ardaudiothek.de/sendung/die-flut-warum-musste-johanna-sterben/10619851/