Zwischen Authentizität und Idealisierung

Porträts von der Antike bis zum Selfie – Schon immer geschönt

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Autor/in
Sophia Volkhardt
Sophia Volkhardt

Es ist eines der ältesten Motive in der Kunst: das Porträt. Dabei spielt die Ähnlichkeit zur abgebildeten Person eine große Rolle – aber historische Porträts und aktuelle Selfies stehen immer auch für eine bestimmte Zeit und Gesellschaft. Wie hat sich das Portrait entwickelt?

Bei einem gelungenen Porträt denken viele zunächst an eine Darstellung, die eine große Ähnlichkeit zu der abgebildeten Person aufweist. Die hohe Kunst besteht jedoch darin, nicht nur das Äußere möglichst authentisch wiederzugeben, sondern im Idealfall auch etwas von der Persönlichkeit des Porträtierten in wenigen Strichen einzufangen.

Porträts im gesellschaftlichen Kontext

Dabei zeigt sich nicht zuletzt heute – im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit – in dem wir wir umgeben sind mit unseren Abbildern, wie verfremdet auch ein Selfie sein kann – und zwar nicht nur durch Fotofilter und Bildeffekte.  

Beim Blick auf die Entwicklungsgeschichte des Porträts in der Malerei zeigt sich deutlich, dass der gesellschaftliche Kontext maßgeblich beeinflusste, wie eine Person dargestellt wurde. Oft ging es eben nicht um die möglichst detailgetreue Darstellung, sondern um Idealisierung im Sinne der herrschenden Werte. Das jeweilige Menschenbild wurde wie eine Schablone über die Darstellung gelegt – ähnlich wie heute der Filter über unsere Bilder.

Ursprünge des Porträts

Nach wie vor das Faszinierende an Porträts oder Fotografien: Sie können uns überdauern, eine Momentaufnahme unseres Lebens auch noch weit über den Tod hinaus konservieren. Das Porträt hat seinen Ursprung tatsächlich in der Grabplastik, die die Erinnerung an einen Menschen lebendig halten soll. Das bezog sich damals vor allem auf Herrscher, deren Porträts zu Lebzeiten sogar Stellvertreterfunktion hatten.

Schon im alten Ägypten oder in der Antike spielte das Porträt in der Kunst eine große Rolle. Allerdings werden hier Idealbilder dargestellt. Man denke an die berühmte Totenmaske Tutanchamuns: Bei solchen Darstellungen ging es nicht darum, das reale Aussehen der Person einzufangen, sondern nach strengen Proportionsvorgaben die religiöse oder politische Stellung in den Vordergrund zu rücken.

Pharao
Im alten Ägypten unterlagen die Darstellungen der Pharaonen in der Kunst strengen Proportionsvorgaben. Im Vordergrund stand nicht das reale Aussehen, sondern die politische und soziale Stellung.

Oftmals Herrscher im Fokus

Oder römische Porträtbüsten: Kaiser Augustus scheint während seiner gesamten Regierungszeit – mit Blick auf die Büsten, die in der Zeit entstehen – nicht gealtert zu sein.

Das Bilderverbot im Alten Testament führte dazu, dass im Urchristentum kaum individuelle Porträts entstanden – das menschliche Abbild spielte hier nur als Gottesebenbildlichkeit eine Rolle.

Bis ins Spätmittelalter zeichneten sich Porträts noch größtenteils durch formelhafte Darstellungen aus, erst nach 1300 tauchten immer mehr identifizierbare, charakteristische Gesichtszüge und andere äußere Merkmale in der Kunst auf. Zuerst sind es Herrscher, die in den Bildern identifizierbar sind, damals noch legitimiert als Heilige. Sie treten beispielsweise als Stifterfiguren auf.

Jacopo Gaetano Stefaneschis Portrait
Jacopo Gaetano Stefaneschis Portrait taucht erkennbar auf dem Altar von Giotto auf – im Profil als demütige Stifterfigur

Die Renaissance rückt das Individuum in den Vordergrund

Im 15. Jahrhundert zählt dann nicht nur die äußere Erscheinung, sondern auch die Annährung an Charaktereigenschaften, das Wesen des Porträtierten. Mit der Renaissance wird das Individuum zentraler Bestandteil der Kunst.

Das Porträt spielt jetzt nicht nur bei den Herrschenden eine Rolle – auch das Bürgertum will sich porträtieren lassen. Dabei fällt auf: „schön“ ist bis ins 15. Jahrhundert relativ. Die Normvorstellungen von Körperidealen (die sich natürlich im Laufe der Epochen stark verändern) und Schönheit entwickeln sich erst im Ausgang des Jahrhunderts. Und es entwickelt sich, was uns bis heute prägt: Schönheit wird als klug und gut wahrgenommen, Hässlichkeit hingegen als dumm und böse.

Mona Lisa
In Leonardo da Vincis Mona Lisa wird deutlich: im Portrait spielt auch immer mehr die Psychologie eine Rolle

Ikonisches Beispiel der Renaissance-Malerie ist Leonardo da Vincis Mona Lisa, deren vieldiskutiertes Lächeln bis heute Rätsel aufgibt. Wie es wohl um ihre seelische Befindlichkeit steht? Völlig unklar.

Künstlerselbstbilder als Ausdruck des Selbstbewusstseins

Ihren Höhepunkt erlebt die Porträtmalerei im 16. und 17. Jahrhundert. Jetzt spielt auch das Künstlerselbstbild eine immer wichtigere Rolle. Es ist Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins der Kunstschaffenden und eine Möglichkeit, sich auszuprobieren. Eindrucksvolles Beispiel: Albrecht Dürers Selbstbild, das mehr als verdächtig an Christusbilder erinnert.

Dürers Selbstbildnis
4. Selbstportraits, wie hier von Albrecht Dürer 1500 spielen im 16. und 17. Jahrhundert eine immer größere Rolle. Sie sprechen für ein neues Selbstbewusstsein der Künstler.

All das, was der Nachwelt über die Porträtierten in der Zeit übermittelt werden soll, wird in Details verschlüsselt versteckt – Wertvorstellungen, gesellschaftlicher Stand und Verdienste fließen in Landschaften, Kleidung und Körperhaltungen ein.

Weil die Kirche durch reformatorischen Bildersturm und Calvinismus als Auftraggeber von Porträts an Bedeutung verliert, wird das Porträt jetzt vor allem wichtig im privaten Bereich.

Fotografie verändert alles

Die Faszination der Porträtmalerei als detailgetreues Abbild hält sich bis zum 19. Jahrhundert. Durch die Erfindung der Fotografie gibt es eine viel schnellere und unkompliziertere Technik, bei der Abbild und Wirklichkeit scheinbar eins werden.

Die Malerei sieht sich neuen Herausforderungen gegenüber und tritt in gewisser Hinsicht von ihrem Wirklichkeitsanspruch zurück. Farbe und Form verselbstständigen sich sozusagen. Ein Paradebeispiel dieser Veränderung: Pablo Picassos Gertrude Stein (1905/1906), deren Antlitz maskenhaft verfremdet ist und schon den neuen Stil des Kubismus vorausahnen lässt.

Gertrude Stein
Pablo Picassos Portrait von Getrude Stein ist schon ein Vorläufer seiner kubistischen Phase, hier geht es nicht mehr um ein detailgetreues Abbild der Wirklichkeit

Mit der neuen Sachlichkeit und Künstlern wie Otto Dix oder George Grosz erlebt das naturalistische Portrait scheinbar ein Revival – tatsächlich geht es hier aber gerade nicht darum, das Schöne und Ästhetische darzustellen, sondern im Gegenteil die Abgründe und das Hässliche, an denen man Sozialkritik festmachen kann.

Warhol stellt die Ikone anstelle der Person dar

Das Verhältnis zwischen Malerei und Fotografie in Bezug auf das Porträt bleibt wechselseitig. Man denke an Andy Warhols „Marilyn“-Serie. Ein Werbebild der 1962 verstorbenen Marylin Monroe wird von Warhol verfremdet – eine Art ironische Bemerkung zur anhaltenden Besessenheit der Medien von Prominenten, die durch Warhols Werk nochmal auf eine neue Ebene gehoben wird.

Die Schauspielerin ist mehr Produkt als Person, durch Warhols Siebdrucktechnik wird der ursprünglichen Fotografie in jeder Hinsicht ihre Tiefe geraubt. Nur noch Monroes ikonische Merkmale stehen im Fokus – das Sexsymbol, wie es bis heute verkauft wird. Die echte Frau tritt in den Hintergrund.

Warhols Marilyn Monroe
Der 1964 entstandene Siebdruck „Shot Sage Blue Marilyn“ von Andy Warhol

Authentizität wurde schon immer inszeniert

Mit Blick auf das Selfie heute wird deutlich: Der Wunsch, einen bestimmten Moment im Leben festzuhalten, war schon immer da, dabei ist es mit der Authentizität oft nicht weit her – egal ob in vergangenen Epochen idealtypische Schablonen über die Porträts von Herrschern gelegt wurden oder wir uns heute für Selfies modifizieren und in Szene setzen, um bestimmte Körperbilder und Schönheitsideale einzuhalten.

Trotzdem: Fast immer schwingen Botschaften mit, die über das bloße Abbild hinausgehen und uns etwas über die umgebende Gesellschaft oder Zugehörigkeit zu erzählen. Die Bilder enthalten Botschaften im Subtext. In der Hinsicht hat sich das Portrait nie verändert.