Karl-Sczuka-Preis 2024

Anna Friz: Revenant

Stand
Autor/in
Anna Friz

Revenant ist ein zweiteiliges Radiostück, das sich mit den Themen Sterblichkeit, Verfall und Regeneration befasst und elektronische und radiophone Mittel sowie unter- und oberirdische Field Recordings verwendet. Ein Teil dieses Stücks basiert auf einer Live-Performance in der Ferne, die Anna im Oktober 2020 für Indexical (ein von Künstler*innen geführtes Zentrum für experimentelle Musik und Klangkunst) in Santa Cruz, Kalifornien, aufgeführt hat. Zusätzlich zu den Pandemie-Quarantänen mussten Santa Cruz und die umliegenden Orte während der CZU-Lightning-Complex-Waldbrände im August 2020 evakuiert werden. In den darauffolgenden Jahren erlebten wir verstärkte Zyklen von Überschwemmungen, Wiederbewuchs, Dürre, weiteren Verwüstungen durch Stürme und immer neuem Wachstum am Boden. Hinter Annas Haus verwandelt sich eine Wiese jeden Sommer in eine von Erdhörnchen bevölkerte, von Löchern übersäte trockene Mondlandschaft, wo es von Nagetieren nur so wimmelt. Sie dachte über die Notwendigkeit nach, sich in den Boden zu begeben, wenn die Luft nicht mehr sicher ist. Sie reflektierte über das, was sich unter der Erde in der potenziell riesigen Welt der Lebewesen und Organismen abspielt, die im Dunkeln existieren, und über die ewigen mythischen Geschichten vom Hinabsteigen der Sterblichen in die Unterwelt auf der Suche nach einem geliebten Menschen, den sie verloren haben.

1. Outside

In der immer größer werdenden Hitze und im Dunst des Sommers sind die Tage lang und heiß und die Nächte schlaflos. Nach kurzem, unruhigem Schlaf ist die Sonne am Morgen eine trübe Münze, wenn sie hinter einem orangefarbenen Nebel aus dem Rauch und der Asche von Waldbränden aufgeht. Wenn die Luft heiß und dick ist, finden andere Lebewesen ihren Weg ins Haus, um bei mir Zuflucht zu suchen: Sie kommen durch die Rohre, die Abflüsse, die Lüftungsschächte und den Kamin, durch die Ritzen unter der Tür oder die Wände. Unbekannte Insekten, Würmer und eine Eidechse, die auf dem Boden vertrocknen, verschiedene Spinnentiere, die die Wände hochkrabbeln, ein kleiner Vogel, eine Fledermaus. Es scheint, als müsste ich meine Einstellung zum Zusammenleben ändern: Wenn die Lebewesen in mein Nest einziehen, gehe ich in den Luftraum oder tausche den Platz und versuche, in ihre Höhlen zu entkommen.

2. Revenir

Der Mythos von den Lebenden, die die Reise in die Unterwelt antreten, ist eine Geschichte von unstillbarer Sehnsucht. Der Suchende wird zu einem Besucher unter der Erde. Was für eine Art von Organismus muss ich werden, um in die Unterwelt hinabzusteigen, um die verlorene sterbliche Liebe zu suchen? Die Kreaturen, die sich mühelos durch die Erde bewegen, werden oft als niedere, abstoßende Wesen betrachtet: Insekten, Nagetiere, Schlangen, Würmer. Die Reise unter die Erde erfordert eine Metamorphose des Körpers und der Sinne, um zu dem zu werden, was überleben und sich in die Tiefe eingraben kann. Gleichzeitig können die Toten nicht still liegen, sondern sie rehydrieren und verwandeln sich, um eines Tages wieder an die Oberfläche zu kommen.

Komposition und Realisation: Anna Friz
Redaktion und Dramaturgie: Elisabeth Zimmermann
Produktion: Österreichischer Rundfunk 2023

Ursendung am 30.07.2023 auf ORF Kunstradio in Ö1

Begründung der Jury

„Der Karl-Sczuka-Preis 2024 geht an das Radiostück ‚Revenant‘ der kanadischen Soundkünstlerin Anna Friz (*1970), eine Produktion des Österreichischen Rundfunks aus dem Jahr 2023.
In dem zweiteiligen Werk untersucht Friz Vergänglichkeit, Verwandlung und Wiederkehr mit elektroakustischen Mitteln und Field Recordings, die auch in auditive Unterwelten vordringen. Die teilweise auf einer Live-Performance basierende „Sonic Fiction“ nutzt Technologien radiophoner Übertragung, um einen intimen Kosmos physischen Verfalls hörbar zu machen. Erzählerische Elemente und Klangstrukturen verbinden sich in der Produktion zur Imagination einer akustischen Landschaft.“

Gespräch mit dem Jury-Vorsitzenden Olaf Nicolai

122 Wettbewerbsbeiträge aus 32 Ländern beim Karl-Sczuka-Preis 2024

Der international renommierte Karl-Sczuka-Preis wird jährlich an die „beste Produktion eines Hörwerks, das in akustischen Spielformen musikalische Materialien und Strukturen benutzt“, verliehen. In diesem Jahr wurden 122 Wettbewerbsbeiträge aus 32 Ländern eingereicht.

Über die Preisträgerinnen hat vom 17.6. bis 20.6.2024 in Baden-Baden eine unabhängige Jury unter Vorsitz des bildenden Künstlers Olaf Nicolai entschieden. Weitere Jurymitglieder waren Inke Arns, Julia Cloot, Michael Grote und Thomas Meinecke. Als Beraterin der Jury ohne Stimmrecht fungierte Iris Drögekamp als Leiterin des Karl-Sczuka-Preis Sekretariats.

Der Karl-Sczuka-Preis ist nach dem Hauskomponisten der SWF-Gründerjahre benannt und wurde erstmals 1955 vergeben.

Anna Friz

Anna Friz ist eine Radio-, Klang- und Medienkünstlerin. Sie befasst sich mit Themen der Übertragungsökologie und der Intimität von Signalräumen, Umwelt und Landschaft, Infrastrukturen, Zeitwahrnehmung und Dauerperformance sowie kritischen Fiktionen. Sie hat sich auf selbstreflexive Radiosendungen, Installationen und Performances spezialisiert, bei denen das Radio Quelle, Thema und Medium der Arbeit ist. Sie ist außerordentliche Professorin in der Abteilung für Film und digitale Medien an der University of California Santa Cruz. Sie promovierte 2011 im Rahmen des Joint Graduate Program in Communication and Culture an der York University in Toronto und erhielt ein Post-Doc-Stipendium an der School of the Art Institute of Chicago in der Abteilung für Klang. Ihre Radiokunstwerke waren auf öffentlichen und unabhängigen Radiosendern weltweit zu hören. In den letzten Jahren waren ihre Arbeiten unter anderem beim Ars Electronica Festival (Linz), im New York Times Magazine, beim Heroines of Sound Festival (Berlin), im Soundhouse at the Barbican (London), beim RE:SOUND Festival (Aalborg) und in der Radio Art Zone (Luxemburg) zu hören.

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Anna Friz