Es ist das Märchen von der unglücklichen Liebe der kleinen Meerjungfrau zu einem sterblichen Menschen. Antonín Dvořák hat es an der Schwelle zum 20. Jahrhunderts in seiner erfolgreichsten Oper „Rusalka“ verarbeitet. In Stuttgart übersetzt Regisseur Bastian Kraft das erzromantische Märchen und seine Frage nach körperlicher Identität in die Welt der Drag Queens. Das gelingt so überzeugend, dass Dvořák selbst es sich nicht anders hätte ausdenken können.
Berührendes Regie-Konzept
Antonín Dvořáks „Rusalka“ an der Staatsoper Stuttgart ist am Ende ein Fest des Andersseins. Die Drag Queens schminken sich ins Reich der barocken Fantastik und tanzen mit ihren vokalen Spiegelbildern der drei Waldelfen.
Besungen wird bei Dvořák das aus dem Licht der Sterne, des Mondes und dem Nebel gebildete Kleid der Elementargeister. Das ist passgenau zu dieser Szene der tanzenden und singenden Paare.
Nicht nur in diesem Moment geht das Konzept von Regisseur Bastian Kraft ungemein berührend auf. Waldelfen, Wassermann, die Hexe Jezibaba und die Titelfigur der Wassernixe Rusalka, sind gedoppelt durch die anderen Körper der Drag Queens.
Die Leidensgeschichte nach der Verwandlung
Wenn sich Rusalka in den Prinzen verliebt und sich durch Jezibaba in einen Menschen verwandeln lässt, dann zahlt sie einen hohen Preis: Sie wird stumm. Dann entfaltet sich im zweiten Akt der Oper die Leidensgeschichte des anderen Wesens.
Der Prinz ist abgestoßen und verfällt der fremden Fürstin, einem eiskalten Vamp glühender Verführung im blutroten Kleid. Wir sehen die Drag Queen Reflektra als Doppelung Rusalkas vor dem Spiegel. Sie blickt auf ihre andere Identität.
Wir sehen durch den vergrößerten Kamerablick der Videoprojektion das Resultat der Verachtung durch den Prinzen und die Hofgesellschaft in ihrem Gesicht. Das Leiden sitzt tief in ihrem Augenblick.
Drag Queens in der Unterwasserwelt
Die Übersetzung der erzromantischen, unglücklichen Liebe von Wassernixe und Prinz in die Welt der Drag Queens und der Frage nach der körperlichen Identität gelingt hier so überzeugend, dass Dvorak es sich heute nicht anders hätte vorstellen können.
Zu Beginn sind die Welten der stummen Drag-Pantomime und der Stimmen noch getrennt. Gesungen wird von einem Steg über der Bühne. Darunter agieren die Drag Queens lippensynchron in der Wasserwelt.
Bühnentricks aus der Entstehungszeit der Oper
Auch die Wasserwelt ist auf der Bühne von Peter Baur ein Varietétrick aus der Entstehungszeit der Oper: ein um fünfundvierzig Grad nach vorne gekippter Spiegel lässt das ovale Teichrund auf dem Bühnenboden zur Seetiefe werden.
Bei der magischen Verwandlung steigt die Sängerin der Rusalka zu ihrer Doppelung hinunter. Dann wird diese Spiegelung auf der unteren Bühnenebene auch körperlich allumfassend.
Hier kommt Oper zu sich selbst
Nur die Menschen bleiben, was sie sind. Sie haben keine Spiegelbilder, sondern nutzen diese nur, um als aufgetakelte Hofgesellschaft bei der scheiternden Hochzeit an ihrem Äußeren Toilette zu machen.
Wenn Rusalka im letzten Akt verzweifelt mit Reflektra zurückkehrt, als todbringendes Irrlicht endend, dann steht sie vor einer riesigen Spiegelwand, in der sich das Zuschauerrund als magisch illuminiertes Fantasiereich des Anderen reflektiert. Da kommt Oper zu sich selbst, wie schon die doppelte Ebene von Tanz und Gesang zu ihrer barocken Urgeschichte zurückführt.
Oper Zumindest optisch beeindruckend: „Der fliegende Holländer“ am Nationaltheater Mannheim
Richard Wagners Frühwerk „Der Fliegende Holländer“ ist zentral für die musikalische deutsche Romantik. Das Nationaltheater Mannheim zeigte bereits Carl Maria von Webers „Der Freischütz“, das große Vorbild Wagners, in einer Neuproduktion. Das Frühwerk des musikdramatischen Erneuerers Richard Wagners in der Regie von Roger Vontobel und der musikalischen Leitung von Jordan de Souza ist eine zwiespältige Inszenierung. Vontobel fällt zu den Figuren wenig ein. Das Bühnenbild hingegen ist spektakulär.