Die Eröffnungsreden beim Berliner Theatertreffen beschworen überschwänglich die demokratiestiftende Kraft des Theaters. Die im Anschluss dargebotene Inszenierung von Ulrich Rasche jedoch wird diesem Anspruch nicht gerecht. In seiner Interpretation von Lessings „Nathan der Weise“ geht jede humanistische Botschaft im Formfetisch unter.
Ernster Ton in den Eröffnungsreden
Das Theatertreffen beginnt traditionell mit den Eröffnungsreden. Wie traditionell das ist, das bekam letztes Jahr der damals neue Intendant der Berliner Festspiele Matthias Pees zu spüren, der draußen ein paar einladende Worte unter den Bäumen verloren hatte – für viele Theatertreffenbesucher ein halber Skandal.
Dieses Jahr verlief dies Eröffnung wieder gewohnt zeremoniell. Angesichts der multiplen Krisen unserer Zeit wurde ein ernster Ton angeschlagen.
Theater als Raum des Mitgefühls
Matthias Pees stellte diesmal die grundlegende Frage nach der politischen Verantwortung der Theaterkunst und beschwor die aristotelische Auffassung der Dramenkunst. Nämlich: indem wir im Theater das Leid anderer erleben, lernen wir die Empathie.
Kulturstaatsministerin Claudia Roth hatte das Schiller-Zitat von den „Brettern, die die Welt bedeuten“ mitgebracht und erläuterte mit gewohntem Überschwang die Bedeutung des Theaters für die Gegenwart.
Nora Hertlein-Hull lobt „starken Jahrgang“
Schließlich kam die neue Leiterin des Theatertreffens Nora Hertlein-Hull zu Wort, sie ist nach plötzlichen Personalveränderungen erst seit einigen Monaten im Amt und lobte die diesjährige Zehnerauswahl als „starken Jahrgang“: „Stark im Sinne von herausragenden schauspielerischen Leistungen, stark und vielfältig auch in den Produktionsweisen, Themen, Ästhetiken.“
Nun kann man in der Theorie über Kunst im allgemeinen und Theater im speziellen natürlich alles Mögliche sagen – und besonders nach diesem Vorlauf hätte es eine Inszenierung gebraucht, die den artikulierten Ansprüchen an Theater als Demokratieforum gerecht geworden wäre.
Bei Ulrich Rasche geht jeder Sinn zunichte
Das war aber nicht zu machen mit den gewohnten Marsch- und Chorformationen des Regisseurs Ulrich Rasche. Auch Lessings „Nathan der Weise“ diente ihm erneut zu einer anstrengenden Theaterinstallation im Halbdunkel, in der der Nebel wallt, die sphärische Musik dräut.
Text und Inhalt sind hier dem für Ulrich Rasche bekannten Formkonzept untergeordnet – entsprechend der Ringparabel von Nathan rotieren hier drei Bühnendrehscheiben, auf denen die Darstellerinnen und Darsteller im wiegenden Hüftschritt marschieren und die Texte stakkatoartig zwischen den Zähnen hervorpressen.
Es kann nur besser werden
Sprechmaschinen in verschieden angeordneten Konstellationen in kunstvollem Lichtdesign. Eine humanistische Botschaft kommt hier nicht von der Bühne, im Gegenteil – jeder Sinn geht in diesem Maschinen- und Formfetisch verloren.
Aber auch das ist Teil des Theatertreffens: einige Lieblingsästhetiken der Jury finden immer wieder ihren Weg zurück in die Auswahl. Ein Vorteil hat diese Eröffnung aber doch – es kann die nächsten beiden Wochen eigentlich nur besser werden.
Theater und Theaterkritik
SWR2 Tandem Gefürchtet, geachtet – von gestern? Eva Behrendt über ihre Arbeit als Theaterkritikerin
Auch wenn heute jeder sein eigener Reporter und sein eigener Rezensent sein kann, findet Eva Behrendt: das Publikum verdient professionelle Zuschauer. Sie selbst schreibt seit vielen Jahren Theaterkritiken für Theater heute und die taz.