Termine per App buchen, eine Diagnose per Video: Was klingt wie Science-Fiction, ist in einer Praxis in Neuerburg Realität. Sieht so die Zukunft der Medizin auf dem Land aus?
Mit einem Lächeln betritt Nicole Rowolt das Wartezimmer. Sie nimmt ihre Patientin mit in den Behandlungsraum. Aufmerksam lauscht sie der Frau, die über Schmerzen in der Brust klagt. "Das klingt nicht besorgniserregend", sagt sie: "Wir machen jetzt ein Ruhe-EKG, das wird sich dann der Doktor anschauen." Denn Nicole Rowolt ist gar keine Ärztin, sondern eine Krankenschwester mit einer Zusatzausbildung.
"Ich habe von einer Kollegin im Krankenhaus von dem Studium zum Physician Assistant erfahren", sagt sie. Physician Assistant ist ein eigenständiger Beruf, für den man einen Bachelor-Abschluss braucht. Studieren können Anwärter zum Beispiel am Campus Zweibrücken der Hochschule Kaiserslautern. "Das wollte ich unbedingt machen, da ich in meinem Beruf als Krankenschwester nicht nah genug am Patienten arbeiten konnte."
Das sei in der neuen Praxis in Neuerburg des Mannheimer Start-Ups LillianCare ganz anders. Und das ist nicht der einzige Unterschied zu herkömmlichen Arztpraxen. Termine können per App gebucht, der Arzt per Video zugeschaltet werden.
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Arzt wird eher bei komplizierten Fällen hinzugezogen
Doch am Anfang stand erstmal eine Idee von Firmengründer Linus Drop. "Mit LillianCare wollen wir gegen den Ärzteschwund, vor allem in ländlichen Regionen, vorgehen", sagt Drop. Aber natürlich will er mit dem Unternehmen auch Geld verdienen. Die Idee dahinter ist schnell erklärt: "Wenn Sie ein Problem mit Ihrem Computer haben, dann schaut sich das auch nicht der Geschäftsführer der Firma an, sondern ein Fachinformatiker schaut mal nach, ob der Stecker drin ist."
Genauso sei das bei einer Erkältung oder anderen leichten Beschwerden - da müsse dann auch nicht gleich der Arzt kommen. Je komplexer das Problem, desto kompetenter muss der Mitarbeiter sein: "Dieses Prinzip wenden wir auf allgemeinmedizinische Praxen an." In skandinavischen Ländern sei das längst Standard, sagt Drop. In Deutschland allerdings ist das ein neues Modell. Die Praxis in Neuerburg ist eine der ersten ihrer Art.
Drei Tage in der Praxis, zwei Tage zu Hause
Das heißt übrigens nicht, dass in Neuerburg kein Arzt vor Ort ist. Philip Decker schaut sich nur nicht jedes Problem selbst an. Der erste Ansprechpartner ist in der Regel die Assistentin Nicole Rowolt. Nur wenn ein Fall ihren Kenntnisstand übersteigt, übernimmt Philip Decker - direkt vor Ort oder über einen Video-Anruf.
Der in Bonn wohnende Allgemeinmediziner wäre von sich aus nicht nach Neuerburg gezogen, sagt er. Die Homeoffice-Dienste ermöglichten es ihm aber auch von zu Hause, seine Patienten zu versorgen: "Ich bin an drei Tagen in der Woche in der Praxis, ansonsten bin ich über Video erreichbar", erklärt der 44-Jährige: "Meine Frau und meine zwei Kinder finden das toll, dass ich an zwei Tagen die Woche zu Hause bin und meiner Rolle als Vater nachkommen kann."
Das Modell sei attraktiv für Ärzte, sagt Gründer Linus Drop, nicht nur wegen der Homeoffice-Lösung. Sondern auch, weil sie bei LillianCare als Angestellte arbeiten können und nicht das Risiko einer Selbstständigkeit eingehen müssen.
Hausärzteverband sieht Telemedizin kritisch
Der Hausärzteverband Rheinland-Pfalz sieht das Modell von LillianCare trotzdem kritisch. "Wir setzen weiter darauf, dass in einer Praxis auch ein Hausarzt vor Ort sein muss, der den Hut auf hat", sagt die 2. Vorsitzende Heidi Weber aus Bitburg - zur Behandlung von Notfällen, aber auch von chronisch Kranken. Ein Physician Assistant sei kein "Arzt light".
Und auch viele Patienten sind skeptisch. "Die Menschen hier sind die klassischen Hausarztpraxen gewöhnt und trauen dem Konzept von LillianCare noch nicht ganz", räumt Linus Drop ein. Das Zutrauen, ist er sich sicher, werde aber in den nächsten Monaten noch wachsen.
In Neuerburg schließen dieses Jahr zwei Arztpraxen
Der Stadtbürgermeister Lothar Fallis ist da unsicher: "Wir haben hier viele ältere Patienten und die tun sich im Moment erstmal schwer damit, dieses neue System anzunehmen. Die müssen sich ja umzustellen, dass sie nicht jedes Mal von ihrem Hausarzt direkt versorgt werden."
Dennoch ist Fallis froh über die Praxis von LillianCare. Zwar ist es der Stadt und der Verbandsgemeinde in den vergangenen Jahren gelungen, aus dem ehemaligen Krankenhaus ein gut laufendes Gesundheitszentrum zu machen. Aber die Lage spitzt sich immer mehr zu. Dieses Jahr werden zwei Hausärzte in der Stadt zumachen. Im Eifelkreis dürften in den nächsten zehn Jahren rund 60 Prozent der Hausärzte in Rente gehen.
LillianCare will in Rheinland-Pfalz investieren
Das zeige in aller Deutlichkeit, sagt auch Geschäftsführer Linus Drop, wie dringend neue Praxisformate wie LillianCare gebraucht würden. "Vor allem in Rheinland-Pfalz, zum Beispiel im Hunsrück, in der Eifel oder in der Pfalz, sieht die Versorgungslage sehr schlecht aus. Deswegen planen wir, hier besonders viele Praxen zu eröffnen."
Drop hat sich große Ziele gesteckt: "Im nächsten Jahr wollen wir von zwei auf 14 Praxen aufstocken, unser Ziel für 2030 sind 400 bis 500." Erstmal muss seine Firma aber die Praxis in Neuerburg ans Laufen bringen, was durchaus eine Herausforderung sei: "Hier war es zum Beispiel wirklich schwer für uns, Personal zu finden, auch durch die Nähe zu Luxemburg, die im Gesundheitssektor einfach besser zahlen." Der Geschäftsmann nimmt diese Herausforderung aber gerne an, sagt er: "Wenn wir es hier schaffen, dann schaffen wir es überall."
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