Die EU-Kommission wollte den Einsatz von Pestiziden halbieren. Das EU-Parlament hat dies abgelehnt. Winzer an der Mosel atmen auf, Forscher fürchten um die Artenvielfalt.
Der Wein vom Mühlenberg in Ensch ist nicht nur an der Mosel bekannt. Doch immer mehr Weinberge liegen dort inzwischen brach. Wo früher Trauben wuchsen, wuchern heute Brombeerhecken. Und wenn Herbert Schätter seine Reben nicht hin und wieder spritzen würde, würde es noch mehr Wildwuchs geben, sagt der Winzer: "Letztes Jahr wäre es ohne Pflanzenschutz ein Totalausfall geworden. Dann hätten Pilze die ganzen Blätter und Trauben befallen."
Winzer: Ohne Pflanzenschutz kein Weinbau an der Mosel
Herbert Schätter ist daher erleichtert, dass die geplante Pflanzenschutzverordnung der EU-Kommission erstmal vom Tisch ist. Das EU-Parlament hat sie vor allem mit den Stimmen der konservativen Parteien abgelehnt. Für den Winzer und seine Kollegen heißt das: "Wir können weiterarbeiten wie bisher."
Der Plan der Kommission war, dass Landwirte ab 2030 nur noch halb so viel Pflanzenschutzmittel einsetzen dürfen. In Landschaftsschutzgebieten wie dem Moseltal sollten Spritzmittel ganz verboten werden. "Das hätte das Aus für uns bedeutet", sagt Schätter. Denn selbst Biobetriebe könnten schwierige Jahre ohne ihren Pflanzenschutz aus Kupfer und Schwefel nicht überstehen.
Biologe: Viele Pestizide ergeben gefährlichen Cocktail
Das weiß auch der Biologe Axel Hochkirch vom Luxemburgischen Nationalmuseum für Naturgeschichte. Trotzdem hätte er sich gewünscht, dass die Europäische Union es schafft, den Einsatz der Spritzmittel einzuschränken: "Derzeit werden einfach zu viele und zu viele verschiedene Pestizide eingesetzt." Und dieser Cocktail schade der Artenvielfalt und vielleicht sogar der Gesundheit. Zum Beispiel dann, wenn weiterhin mutmaßlich krebserregendes Glyphosat versprüht wird.
Glyphosat: In der EU zugelassen - in Deutschland verboten?
Die Bundesregierung will laut Koalitionsvertrag Glyphosat ab 2024 verbieten. Die EU-Kommission will den Wirkstoff für weitere 10 Jahre genehmigen. Wie geht das zusammen?
Daher fordert der Wissenschaftler, den Einsatz von Spritzmitteln auf ein Minimum zu reduzieren und ihn in Naturschutzgebieten zu verbieten. Im Gegenzug könnte der Forscher sich vorstellen, dass Bauern bei Ernteausfällen entschädigt werden. So wie bei den Folgen von Naturkatastrophen. Das Problem der neuen Verordnung sei gewesen, dass die Kommission die Landwirte "nicht mit ins Boot genommen hat", sagte Hochkirch. Neben dem Artensterben müsse eben auch das Bauernsterben verhindert werden.
Politikerin: Parlament hätte verhandeln sollen
Im Moseltal hat das Bauernsterben längst begonnen. Einige Weinberge werden schon nicht mehr bewirtschaftet, viele Winzer hören auf. Katharina Barley (SPD), die selbst in Schweich an der Mosel lebt, hat sich in der Vergangenheit deshalb auch gegen den Gesetzesentwurf der Kommission ausgesprochen. "Der Vorschlag war nicht ausgewogen", argumentiert die Vizepräsidentin des EU-Parlaments, die sich insbesondere mehr Rücksicht auf den Weinbau gewünscht hätte.
Dennoch sieht die Sozialdemokratin in der Ablehnung der Verordnung "eine verpasste Chance". Das Thema sei "zu sehr in die Mühlen des Wahlkampfes geraten." Vor allem konservative Abgeordnete hatten vor hohen Einschränkungen für Landwirte gewarnt und weitere Verhandlungen abgelehnt. Barley wäre es lieber gewesen, wenn das Parlament weiter nach einer "vernünftigen Regelung" gesucht hätte, um die Pestizide zu reduzieren und die Artenvielfalt zu schützen.
Neuer Anlauf nach EU-Wahlen?
Auch Winzer Herbert Schätter hätte sich einen Kompromiss vorstellen können, sagt er. Seinen Kollegen und ihm sei die Umwelt wichtig. Sie versprühten bereits viel weniger Pestizide als noch vor Jahren: "Wir spritzen so viel wie nötig und so wenig wie möglich." Ansonsten würde man nicht nur die Natur, sondern auch die eigenen Lebensgrundlagen zerstören.
Dass es noch zu einem Kompromiss kommt, hält der Biologe Axel Hochkirch für unwahrscheinlich: "Wir beobachten derzeit einen Rechtsruck in Europa." Mehrheiten für Umweltschutz seien nach der Europawahl nächstes Jahr womöglich noch schwieriger zu bekommen: "Ich glaube, dass jetzt erstmal gar nichts mehr passiert", befürchtet der Wissenschaftler.
Ganz gescheitert ist die Verordnung aber noch nicht. Erst einmal stimmt jetzt noch der Rat der Mitgliedsstaaten über die Pläne der Kommission ab. Mehrere Landwirtschaftsminister haben schon signalisiert, dass sie einen Kompromiss anstreben. Wie der aussehen könnte, ist allerdings unklar.