Viele heimische Insekten drohen auszusterben. Das haben Biologen der Universität Trier mit einem neuen Verfahren herausgefunden. Die entscheidenden Daten lieferten Blätter.
Mit bloßem Auge sind die Löcher im Blatt kaum zu erkennen. Ein paar braune Pünktchen - mehr ist nicht zu sehen im Buchenlaub. Und doch verraten sie dem Biologen Henrik Krehenwinkel viel über die Artenvielfalt im deutschen Wald.
Denn die Löcher sind Bissspuren von Insekten. Und wenn Raupen, Käfer oder Schmetterlinge an Blättern knabbern, hinterlassen sie immer ein bisschen Erbgut. Ein Blatt reicht aus, um zehn bis zwanzig Tiere nachzuweisen.
Diese DNA haben sich Wissenschaftler der Universität Trier nun zunutze gemacht. "Damit können wir in der Zeit zurückreisen", sagt Krehenwinkel.
Forscher werten DNA aus konservierten Blätter aus
Der Professor und sein Team haben Tausende Blätter untersucht. Forscher haben die Pflanzen seit den 1980er Jahren in 24 deutschen Regionen gesammelt, zu Pulver verarbeitet und bei Minus 150 Grad in der Umweltprobenbank des Bundes konserviert.
Mithilfe dieses Archivs haben die Biologen herausgefunden, welche Insekten es vor 30 Jahren zum Beispiel im Pfälzer Wald gab. Und welche dort heute noch zu finden sind. Es ist ein völlig neuer Einblick in die lange kaum beachtete Insektenwelt.
Studie: Nicht weniger Insekten, aber andere
Die gute Nachricht aus der Studie: Im Wald leben noch genauso viele Insekten wie vor 30 Jahren. Die schlechte Nachricht ist, dass auch dort die Artenvielfalt abgenommen hat. Denn 15 von 100 heimischen Gattungen sind laut dem 39-jährigen Professor verschwunden.
Tiere, die manche Rheinland-Pfälzer aus der Kindheit kennen, kommen heute nicht mehr vor. Die Buchen-Kahneule zum Beispiel. Das ist ein grüner Falter, der früher häufig in Buchenwäldern anzutreffen war, und heute praktisch ausgestorben ist.
Dafür tauchten plötzlich neue Arten wie der asiatische Marienkäfer auf. Der orange Käfer wurde vor gut 20 Jahren eingeschleppt und verdrängt seitdem seinen roten Verwandten. Und das ist nur ein Beispiel, sagt Krehenwinkel: "Wir beobachten einen Verlust von Biodiversität in ganz Deutschland."
Landwirtschaft und Klimawandel wirkt sich auf Insekten aus
Woran das liegt, kann Henrik Krehenwinkel nicht mit Sicherheit sagen: "Die Blätter und die Daten geben uns immer noch Rätsel auf." Dünger und Pestizide aus der Landwirtschaft scheinen zwar eine Rolle beim Insektensterben zu spielen. Aber auch der Klimawandel mache sich bemerkbar.
"Insekten reagieren sehr sensibel auf Temperaturen", erklärt der Biologe: "Wenn es wärmer wird, wandern sie nach Norden, zum Beispiel nach Norwegen oder Schweden. Wenn sie das nicht schaffen, sterben sie aus."
Unser Wald könnte sich für immer verändern
Die Folgen für das Ökoystem seien schwer vorherzusagen. "Wir wissen nur sehr wenig darüber, was diese Tierchen in den Baumkronen eigentlich machen", sagt Krehenwinkel. Im schlimmsten Fall allerdings könnten sich unsere Wälder für immer verändern.
Denn Insekten stehen am unteren Ende der Nahrungskette. Das heißt: Wenn ein bestimmtes Insekt verschwindet, verschwindet bald der Nager, der es frisst. Und dann der Raubvogel, der den Nager frisst. Und so weiter. Die Wissenschaft spricht von Kaskadeneffekten.
Um die genauer zu untersuchen, brauchen die Trierer Forscher allerdings noch etwas Zeit. Zeit, die angesichts des Klimawandels und des zunehmenden Artensterbens drohe, davonzulaufen, sagt Krehenwinkel.