Essenszwang, Schläge und Demütigungen. Davon berichten Betroffene, die als Kinder in einem Heim in Langweiler untergebracht waren. Geführt wurde das Heim damals von Nonnen.
Monika Kilburg hat sich 60 Jahre lang immer die gleichen Fragen gestellt: "Warum tun Menschen so etwas, was waren das für Menschen, die uns da betreut haben und warum waren sie so brutal?"

Jetzt hat sie zumindest einen Teil der Antworten auf diese Fragen bekommen - in Form eines 60 Seiten langen Berichtes über das, was ihr und so vielen anderen Kindern offenbar im Erholungsheim "Marienhöh" in Langweiler passiert ist.
Kilburg war acht Jahre alt als ihre Eltern sie ins Kindererholungsheim "Marienhöh" in Langweiler schickten. Das dünne Mädchen sollte "aufgepäppelt" werden. Doch statt Fürsorge gab es offenbar Schikane und Schläge.
Orden will aufklären
Vor drei Jahren hat sie dem SWR erstmals von ihren Erlebnissen berichtet. Die Marienschwestern von der Unbefleckten Empfängnis, die das Heim damals leiteten, hatten eine Aufarbeitung angekündigt und die Berliner Theologin Barbara Kreichelt damit beauftragt.
Für den Bericht hat Kreichelt mit einigen ehemaligen Verschickungskindern gesprochen, unter anderem mit Monika Kilburg. Ihr Fazit: "Ich habe gemerkt, dass Frau Kreichelt mich ernst nimmt, dass sie zuhören kann und dass sie sich wirklich viel Mühe gegeben hat, zu recherchieren, was damals wirklich passiert ist."

Betroffene schilderten vor allem negative Erfahrungen
Insgesamt erzählten 27 Betroffene von negativen Erfahrungen in Langweiler. Nur sieben hatten positive Erinnerungen an das Heim mit Kreichelt geteilt.
Diese insgesamt 34 Personen sind nur ein Bruchteil der Menschen, die in dem ehemaligen Kloster untergekommen sind. Pro Jahr haben die Nonnen dort zwischen 900 und 1.000 Kinder aufgenommen. Insgesamt schätzen die Marienschwestern, dass 29.000 Mädchen und Jungen dort ihre Ferien verbracht haben.
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Demütigungen an der Tagesordnung
Diejenigen, die befragt wurden, berichteten von Demütigungen. So seien Kinder wegen ihrer Schwächen wohl lächerlich gemacht worden. Zudem gab es offenbar drakonische Strafen: Wer sich im Bett nur umdrehte oder nicht gehorchte, musste mit Schlägen auf den nackten Hintern rechnen. "Die Nächte waren für mich Horror", wird ein Opfer im Bericht zitiert.

Ein anderer Betroffener erklärt im Bericht: "Ich hatte sechs Wochen lang Todesangst. Ich habe mich noch nie in meinem Leben so alleine und verlassen gefühlt."
Kinder spürten "große emotionale Kälte"
Insgesamt beschreiben die Befragten ein Klima der Angst. Die Marienschwestern hätten die Kinder mit "großer emotionaler Kälte" behandelt - so lautet ein weiteres Zitat im Bericht.
Ein Beispiel dafür ist der Umgang mit einem Kind, das sich beim Spielen im Wald verletzt hatte: "Ich hatte eine große klaffende Platzwunde, die auf der Länge des Auges verlief, stark blutend. Die betreuende Schwester schrie mich an und knallte mir mit der Hand als Strafe ins Gesicht."
Kinder mussten offenbar Erbrochenes essen
Auch beim Essen herrschten strenge Regeln. Der Teller habe grundsätzlich leer gegessen werden müssen. Schließlich ging es ja darum, dass die Kinder zunehmen.

Das Essen sei sehr fettig und zuckrig gewesen, berichtet auch Monika Kilburg. Aufgetischt wurden Grießbrei, Pudding, aber auch Schmalz und Speckknödel. Wer das Essen erbrach, sollte auch das Erbrochene aufessen, schildern Kilburg und andere. Bis heute habe das Auswirkungen auf ihre Essgewohnheiten. Quark, Käse oder Joghurt sei für viele bis heute ungenießbar.
Viele Nonnen hatten selbst Schreckliches erlebt
Doch wie haben eigentlich die Nonnen diese Zeit erlebt? Es ist schwer zu sagen, weil die meisten der Schwestern inzwischen tot sind. Zumindest mit einer von ihnen konnte Kreichelt zwar für ihren Bericht sprechen. Allerdings sagte sie nichts von den Misshandlungen.
Als einen Versuch der Erklärung des gewalttätigen Verhaltens schreibt Kreichelt, die Nonnen seien überwiegend "traumatisierte Frauen" aus Schlesien gewesen, die im Zweiten Weltkrieg Schreckliches erlebt hätten. Und diese Erfahrungen hätten sie möglicherweise an die Kinder weitergegeben: "Ob Schwestern mit solchen seelischen Verletzungen in einem Beruf gut eingesetzt waren, der sie ständig wieder in die Retraumatisierung führen konnte, muss gefragt werden."
Betroffene spüren die Folgen bis heute
Doch traumatisiert wurden dadurch auch die Kinder. Viele leiden heute noch unter den Erlebnissen im Kloster "Marienhöh". "Meine seelischen Schmerzen kann mir keiner nehmen", schreibt ein Betroffener.
Für Monika Kilburg zumindest ist das Kapitel "Marienhöh" jetzt abgeschlossen, sagt die 67-Jährige. Sie sei froh, dass der Orden sich seiner dunklen Vergangenheit gestellt hat: "Das war schon sehr wichtig für mich, dass man auch in meiner Familie jetzt endlich erkennt, dass ich mir das alles nicht ausgedacht habe."
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