Die ARD Dokumentation "Hitler - die ersten 100 Tage" beleuchtet die Ereignisse Anfang 1933 auch mit Tagebuchaufzeichnungen des Wittlicher Gastwirts Matthias Mehs.
Am 30. Januar 1933 war Matthias Mehs 32 Jahre alt. Der Wittlicher Gastwirt saß für die Zentrumspartei in der Wittlicher Stadtverordnetenversammlung. In seinem Tagebuch hielt er damals fest, was in Deutschland und Wittlich passierte, seit Hitler Reichskanzler geworden war und was er dabei empfand.
Mehs ist einer von vielen Zeitzeugen, deren Tagebuchaufzeichnungen in der vierteiligen ARD Dokumentationsreihe "Hitler - die ersten 100 Tage" diese Zeit Anfang 1933 lebendig machen. Sie wird am 30. Januar im ARD Fernsehprogramm gesendet und ist auch in der ARD Mediathek zu sehen.
Anfang Februar 1933, nach der Auflösung des Reichstags in Berlin, ziehen Nationalsozialisten in einem Fackelzug durch Wittlich. Solche Fackelzüge wird es in den nächsten Tagen und Wochen vor und nach den Reichstagswahlen häufiger geben. Mehs beobachtet den Zug mit 360 Teilnehmern von seinem Fenster aus und schreibt in sein Tagebuch, was seine kleine Tochter ihn beim Anblick des Fackelzugs fragte.
Am 10. Februar hält Hitler eine Ansprache, die im Radio übertragen wird. Auch Mehs hört sie und schreibt in sein Tagebuch, Hitler sei hohl, ohne Substanz, er habe Kraft, aber keinen Geist. Mehs fragt sich, wie ein Volk so einen Triebmenschen zum Reichskanzler machen könne.
Auch in Wittlich werden im Februar 1933 viele Mitglieder der SA und SS als Hilfspolizisten eingestellt. Am 27.2.1933 brennt in Berlin der Reichstag. Mehs schreibt in sein Tagebuch, dass man munkelt, die Rechtsparteien hätten das alles inszeniert, um Handhabe gegen die Kommunisten zu haben und ihre eigene Macht auszubauen. Grundrechte wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit werden außer Kraft gesetzt.
Wahlen Anfang März 33
Am 5. März sind Wahlen für den Reichstag. In Wittlich wird Hitlers Wahlkampfrede am Vorabend im Hotel "Zur Traube" in der Schlossstraße übertragen. Am Turm des Hotels weht die Hakenkreuzflagge und wird abends mit Scheinwerfern beleuchtet. Anhänger der NSDAP treffen sich davor.
In Wittlich bekommt die NSDAP 33,5 Prozent der Stimmen, die Zentrumspartei bleibt mit 43 Prozent stärkste Kraft. In ganz Deutschland aber kommt die NSDAP auf 43,9 Prozent. Mit den acht Prozent der Kampffront Schwarz-Weiß-Rot haben sie die absolute Mehrheit im Reichstag.
Matthias Mehs ist entsetzt über das Wahlergebnis mit einer absoluten Mehrheit der Nationalsozialisten im Reichstag. In seinem Tagebuch fragt er sich, was dieses Dritte Reich Deutschland kosten wird. Er ist sich darüber bewusst, dass es in Deutschland jetzt keine Freiheit und kein Recht mehr gibt.
Auch in Wittlich wollen Anhänger der NSDAP am 6. März die Hakenkreuzfahne am Rathaus hissen, was Bürgermeister Neuendorfer verhindert. Bis zum Abend kommt aber aus Berlin die Erlaubnis, sodass dann doch die Hakenkreuzfahne am Rathaus hängt. Die Nationalsozialisten bauen in Deutschland sehr schnell ihre Macht aus, reden von nationaler Revolution und schränken die Freiheitsrechte weiter ein.
Am 21. März tritt der neue Reichstag mit rechtsradikaler Mehrheit erstmals in Potsdam zusammen. Auch in Wittlich werden die Menschen aufgefordert, zu diesem Anlass Hakenkreuzfahnen aus dem Fenster zu hängen.
Der Vater von Matthias Mehs hängt die weiß-rote Wittlicher Stadtflagge aus dem Fenster, nicht die Hakenkreuzflagge. In Wittlich gibt es eine Feier auf dem Marktplatz und einen Fackelzug, bei dem alle Vereine und Schulen mitgehen.
Ermächtigungsgesetz durch Zentrum mitgetragen
Mitte März schreibt Matthias Mehs an den Vorsitzenden der Zentrumspartei, Prälat Kaas. Er mahnt, dem sogenannten Ermächtigungsgesetz nicht zuzustimmen. Die Zentrumspartei im Reichstag stimmt aber doch zu und verhilft den Nationalsozialisten zur nötigen Zweidrittelmehrheit. Hitler bekommt dadurch absolute Macht, setzt de facto die Verfassung außer Kraft, da die Regierung Gesetze ohne Zustimmung des Reichstags erlassen kann.
In seinem Tagebuch schreibt Matthias Mehs seine Gedanken zum Verhalten der Zentrumspartei auf, bezeichnet sie als nicht gerade heldenmutig aber schlau. Jetzt gebe es für Hitler keine Entschuldigungen und Ausreden mehr, schreibt er.
Boykott jüdischer Geschäfte
Am 1. April 1933 ziehen auch in Wittlich Nationalsozialisten mit Plakaten durch die Stadt, die zum Boykott jüdischer Geschäfte auffordern. In Wittlich gibt es etwa 30 jüdische Geschäfte und Unternehmen, auch die chemische Fabrik Ermin gehört dazu, es gibt jüdische Rechtsanwälte.
Etwa 7.300 Einwohner hat Wittlich damals, 238 sind Juden. Matthias Mehs sieht, wie der Mob durch die Straßen zieht, sich mit Schildern wie "Hier wohnt ein Jude, meidet seine Bude" vor jüdischen Geschäften postiert.
Hitler treibt in ganz Deutschland die Gleichschaltung voran. Wer Arbeit sucht, soll in die NSDAP eintreten, Beamte müssen zusätzlich einen "Ariernachweis" vorlegen. Am 20. April wird Hitlers Geburtstag gefeiert, den 1. Mai erklärt Hitler zum "Tag der Nationalen Arbeit" und Feiertag.
Auch in Wittlich zieht morgens um sechs Uhr schon die Hitlerkapelle durch die Stadt, die Musiker in neuen braunen Uniformen, notiert Matthias Mehs in seinem Tagebuch.
Matthias Mehs geht nicht mit beim Wittlicher NSDAP-Umzug zum 1. Mai. Er schreibt, er wolle sich nicht vor der Parteifahne beugen. Er sei für nationalsozialistische Propagandaaufmärsche nicht zu haben.
Mehs erlebt, wie im Juni 1933 die Zentrumspartei verboten wird. Er legt sein Amt in der Stadtverordnetenversammlung nieder. Sein Gasthof wird in Wittlich als "Judentreffpunkt" bezeichnet.
Nach dem 2. Weltkrieg gründet Mehs in Wittlich den CDU Orts- und Kreisverband. 1946 wird er Bürgermeister, 1949 Abgeordneter im 1. deutschen Bundestag. Mehs stirbt 1976.
Planet Schule Nationalsozialismus und Krieg · Die Geschichte des Südwestens
Auch im Südwesten gewinnen die Nationalsozialisten ab den 1920er Jahren an Zulauf. Nachdem sie 1933 an die Macht gelangen, versprechen sie Urlaub für jedermann und beeindrucken mit Prestige-Projekten wie dem Bau von Autobahnen. Als „Großtat“ feiert das NS-Regime die Wiedereingliederung des Saargebietes ins Deutsche Reich. Doch die Nationalsozialisten betreiben die systematische Ausgrenzung, Verfolgung und Vernichtung von politischen Gegnern, Juden, Sinti und Roma. Nur wenige protestieren dagegen.