Es war wie eine Reise in eine andere Welt: Die Trierer Mundartband Leiendecker Bloas reiste im Oktober 1988 in Triers Partnerstadt Weimar und gab dort ein Konzert. Zwei Gründungsmitglieder erinnern sich an den Auftritt in der DDR.
Es war ein besonderer Termin für die damals erst zwei Jahre alte Leiendecker Bloas: Ein Konzert auf dem Weimarer Zwiebelmarkt. Die Partnerstadt von Trier lag damals noch in einem anderen Land hinter dem Eisernen Vorhang. Schlagzeuger Martin Herrmann war bei der legendären Reise in die DDR mit dabei - gemeinsam mit Sänger und Frontmann Helmut Leiendecker, Joachim "Joa" Rother, Manfred Schömer und Eugen Karges.
"Für uns war das in jedem Fall ein Abenteuer. Eine Reise ins Ungewisse", sagt Martin Herrmann 35 Jahre später dem SWR. "Wir hatten ja keine Ahnung, was uns dort erwartet." Von Stasi-Beobachtung bis hin zu einem sehr ungewöhnlichen Auftrittstermin - auf die Band sollte noch einiges zukommen.
Mit dem VW-Bus von Trier nach Weimar
Die Band machte sich am 14. Oktober 1988 früh am Morgen in Trier auf den Weg in Richtung Osten. Die fünf Bandmitglieder saßen im VW-Bus von Helmut Leiendecker, zwei Veranstaltungstechniker fuhren mit den Instrumenten und der Musikanlage in einem zweiten Bus hinterher. Nach mehreren Stunden erreichten die Trierer den innerdeutschen Grenzübergang Wartha/Herleshausen. Über Eisenach ging es dann nach Weimar.
Mit der lebenswerten Stadt von heute hatte Weimar damals wenig zu tun: "Die Stadt wirkte auf uns irgendwie düster und dunstig. Die Häuser waren schön, aber verfallen wie in den 1950er-Jahren bei uns", erinnert sich Sänger Helmut Leiendecker.
Die Trierer Band übernachtete im luxuriösen Hotel Elephant, fünf Gehminuten vom berühmten Goethe-Schiller-Denkmal entfernt. "Da wurden immer die West-Gäste untergebracht", so Schlagzeuger Martin Herrmann.
Schon kurz nach der Ankunft gab es Warnungen vor dem berüchtigten DDR-Geheimdienst. Eine Gruppe mit Politikern aus Trier, die ebenfalls angereist war, warnte die Bandmitglieder: "Eure Zimmer sind von der Stasi verkabelt! Seid vorsichtig!"
Von der Stasi beobachtet
Martin Herrmann und die anderen Musiker aus Trier merkten auch bald, dass sie beobachtet wurden. "Es waren dauernd dieselben Leute um uns herum mit langen Mänteln. Uns war schnell klar, dass immer jemand hinter uns her war."
Am nächsten Tag dann der Auftritt beim traditionellen Weimarer Zwiebelmarkt auf dem "Platz der Demokratie". Es war das - bis heute - früheste Konzert der Bandgeschichte: Die Leiendecker Bloas trat morgens um 7 Uhr auf! "Das war bewusst so gesetzt", ist sich Schlagzeuger Herrmann heute sicher. "Die Staatsmacht wollte wohl die West-Band schnell hinter sich bringen."
Trotz der frühen Uhrzeit war die Weimarer Innenstadt gut besucht, erinnert sich Herrmann. "Es war rappelvoll. Der Zwiebelmarkt begann ja schon früh am Morgen. Die DDR-Bürger konnten dort vieles einkaufen, was sie sonst nicht bekamen."
Publikum in Weimar unsicher
Die Atmosphäre während des anderthalbstündigen Konzerts der Leiendecker Bloas war "skurril", so beschreibt es Schlagzeuger Herrmann heute. "Die Leute haben schon applaudiert, aber mit der Trierer Mundart konnten die natürlich nichts anfangen. Das Publikum war aber auch unsicher. Wir waren eine West-Band. Das war schon gefährlich. Wir spürten eine Unsicherheit."
"Die Menschen waren fasziniert von unserer Technik. Drums aus Amerika - so etwas kannten sie nicht. Wir wurden regelrecht umlagert von DDR-Musikern". Die Leiendecker Bloas verschenkte nach dem Auftritt auf dem Zwiebelmarkt gebrauchte Schlagzeugstöcke und Kugelschreiber der Stadt Trier. "Man kam sich schon komisch vor, so etwas zu verschenken."
Mit Musikern aus Weimar in Kneipe
Im Laufe des Tages freundeten sich die Musiker aus Trier mit Musikern aus Weimar an. "Die wollten wir mitnehmen in die Hotel-Bar. Doch am Eingang wurden die Musiker aus Weimar von Sicherheitsleuten abgewiesen: Keine Ost-Leute!" So verabredete man sich zu einem Treffen in der Stadt. "Wir fuhren mit denen in ihre Stammkneipe in irgendeinem Hinterhof."
Auch in der Kneipe musste die Trierer Band vorsichtig sein: "Wir wussten ja nicht, ob neben uns jemand von der Stasi sitzt. Wir wollten unsere Musiker-Kollegen nicht in Gefahr bringen, sie mussten schließlich weiter hier leben, wir konnten ja wieder in den Westen."
Westmark gegen Ostmark getauscht
Frontmann Helmut Leiendecker kann sich an eine Begebenheit in Weimar noch gut erinnern: "Wir haben in einem Park hinter einem dicken Baum D-Mark gegen Ostmark getauscht. Für 100 D-Mark bekam man 1.300 Ostmark. Das war streng verboten und es war ein schmaler Grat, weil die Menschen, die das getauscht hatten, auch was riskiert haben."
Für Leiendecker war es ein bedrückendes Gefühl damals in der DDR: "Man hat immer wieder Angst gespürt, beobachtet mich hier jemand, ist da jemand, der auf mich aufpasst, ist da jemand, der mich jetzt sieht, der mich verrät oder sonst irgendwas. Das war allgegenwärtig."
Nach zwei Tagen wieder zurück nach Trier
Der Besuch der Leiendecker Bloas in Weimar war nach zwei Tagen planmäßig zu Ende. Bereits einen Tag nach dem Auftritt auf dem Zwiebelmarkt fuhr die Band wieder zurück nach Trier.
"Je länger wir in der DDR waren, umso mehr hast Du körperlich gemerkt, dass Angst die große Überschrift war", so Helmut Leiendecker 35 Jahre später. "Ich war froh, als ich wieder draußen war, weil ich irgendwann anfing, diese Angst zu spüren. Du hast keinem mehr getraut. Wir hatten nichts zu befürchten, aber trotzdem war diese Angst allgegenwärtig."
Nach der Wende hatte die Leiendecker Bloas noch mehrere Auftritte in Triers Partnerstadt Weimar - unter anderem 2003 wieder auf dem Zwiebelmarkt. Doch der legendäre Auftritt 1988 wird für alle, die damals mit dabei waren, unvergessen bleiben.
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