Familie Schmitz schafft es einfach nicht mehr: Ihr Gasthof hat Anfang des Jahres geschlossen. Das liegt aber nicht etwa in erster Linie an Corona oder der Energiekrise.
1912 ist die Titanic gesunken, hat Robert F. Scott endlich den Südpol erreicht, ist "Die Biene Maja" geschrieben worden – und 1912 hat Günter Schmitz' Großvater den Dorfgasthof Schmitz in Schalkenmehren gegründet, damals noch als "Gasthof zum Bahnhof".
Heute steht Günter Schmitz im leer geräumten Schankraum des Gasthofes und ihm kommen die Tränen: "Wir haben keine Lösung gefunden und kamen dann zu dem Schluss: Mit Tränen in den Augen hören wir dann auf. Das war schwierig für mich. Natürlich."
Zum 1. Januar dieses Jahres hat Schmitz seinen Betrieb aufgegeben, seither ist das Interieur in Absprache mit dem Finanzamt verkauft worden. Auch der große Saal ist mittlerweile leer. Früher tobte hier noch das Dorfleben: "Hochzeiten, Beerdigungen, Scheidungen – war alles hier. Wir haben auch schöne Zimmer, eine Terrasse, eine Kegelbahn."
Dorfpolitik und Fettuccine
Im Gasthof ist seit seiner Eröffnung vor 110 Jahren direkt am Ortseingang von Schalkenmehren also viel passiert. Dorfgeschichte wurde hier geschrieben, erzählt Schmitz: "Früher wurde hier die Dorfpolitik gemacht. Also die Gemeinderatsbeschlüsse wurden hier an der Theke gefasst und dann in der Gemeinderatssitzung verabschiedet. So war das damals. Da war ich noch Kind, das ist lange her."
Weil Günter Schmitz Koch werden wollte, hätten seine Eltern in den 1960er Jahren eine Küche angebaut. Die ersten Urlauber seien im Sommer gekommen, hätten im Frühstücksraum frühstücken können.
So wurde der Gasthof immer weiterentwickelt, ohne die Kneipenkultur zu vergessen: "Wir hatten hier im Saal heilige Messe. Und die Männer haben an der Theke gesessen und sind dann schnell in die Küche mit einer Zigarette und mit einem Bier. Und als die Messe vorbei war, sind die wieder an die Theke gegangen."
1987 hat Schmitz dann den Betrieb mit seiner Frau übernommen und zum Beispiel die Speisekarte geändert: "Wir haben dann schon etwas gehobenere Sachen angeboten als nur die gutbürgerliche Küche." Natürlich habe es noch Rouladen, Sauerbraten und Jägerschnitzel gegeben. Aber eben auch Zander, mallorquinische Lammhaxe und italienische Fettuccine.
Krise beendet die Geschichte des Dorfgasthofes
Eigentlich sollte der Betrieb bald in der vierten Generation an Sohn Tobias weitergegeben werden. Als gelernter Koch hatte der schon vor ein paar Jahren zur Modernisierung beigetragen, ein E-Mail-System und Ähnliches eingerichtet. Tobias hatte sich gefreut, den Familienbetrieb führen zu können. Aber jetzt ist Schluss.
Grund ist nicht etwa die Coronapandemie, sagt Günter Schmitz. Mit den staatlichen Hilfen sei man gut durch die Krise gekommen: "Das hat unseren Betrieb gerettet. Als wir wieder öffnen konnten, waren wir gut aufgestellt. Auch die Leute waren sehr zufrieden mit uns." Das Kernteam des Personals konnte gehalten werden.
Es ist eine andere Krise, die Familie Schmitz das wirtschaftliche Genick bricht: der Personalmangel. Schon Anfang des vergangenen Jahres habe es sich abgezeichnet, dass sie als kleiner Gastronomiebetrieb keine Leute für die Küche und hinter der Theke finden: "Wir haben gedacht: Man, man, man, wo soll das hingehen? Wir finden keinen. Wir haben Geld ausgegeben für Inserate. Es ist einfach keiner angesprungen. Und hier Freunde gefragt und da … nix."
Hinzu kamen die gestiegenen Preise für alles: "Gas ist teurer geworden, das wissen wir alle. Aber irgendwann haben wir gesagt, wir müssen jetzt für ein Kalbsschnitzel statt 19 Euro 25 Euro nehmen. Für ein Rumpsteak 30 Euro und mehr. Wer soll das bezahlen?"
Um die Konzession an den Sohn weitergeben zu können, seien große Umbauten nötig gewesen. In den Sanitärbereichen, in der Küche, energetisch, nach Hygiene- und Brandschutzvorschriften: "Und das hätten wir ja ordentlich machen wollen, nicht nur das Mindestmaß. Aber das war für uns auch ein Grund, zu sagen: Das schaffen wir nicht mehr. Das wäre eine dicke fette Summe, im sechsstelligen Bereich gewesen. Aber im hohen sechsstelligen Bereich."
Kneipenkultur liegt schon länger im Sterben
Auch die Menschen im Dorf seien traurig, dass der Dorfgasthof Schmitz schließt: "Die Leute haben geweint: Das könnt ihr doch nicht machen, wo sollen wir denn hingehen." Denn als Kneipenwirt war man auch immer ein bisschen Seelendoktor, findet Schmitz: "Wenn jemand mit der Frau Streit hatte, haben wir gesagt: Ist doch nicht so schlimm." Und wer sein Bier nicht zahlen konnte, der sei dann eben mit der nächsten Lohntüte vorbeigekommen.
Schmitz bedauert aber noch etwas anderes: Kneipen, wie sie früher einmal waren, gibt es heute gar nicht mehr, die Kneipenkultur stirbt aus. Zuerst habe er das gemerkt, als 2008 das Rauchverbot in der Gastronomie eingeführt wurde. Bei ihm sei Rauchen zwar noch weiter erlaubt gewesen – dafür blieben aber Gäste weg, die das nicht gut fanden.
"Der Thekenbetrieb hat total nachgelassen. Man hatte nur noch einen Stammtisch. Die Freude der Leute hat aufgehört. Ob es am Geld lag, kann ich nicht sagen. Auf jeden Fall wurden es weniger", sagt Schmitz. Übrig geblieben seien nur ein paar Kartenspieler.
Auch für die Kegelbahn habe es zuletzt nur noch von einer Gruppe älterer Damen Interesse gegeben. "Kegeln war out, Bowling war in. Die Geselligkeit ist verloren gegangen. Die jungen Leute sind dann freitagabends eher zu einer Party gefahren."
Happy End für Familie Schmitz
Es gibt aber auch gute Nachrichten: Sohn Tobias und dessen Frau sowie die verbliebenen Angestellten und Günter Schmitz' Frau hätten alle Arbeit. Er selbst ist zum 1. März in Rente gegangen. Und hat den Gasthof an seinen Sohn übergeben.
Aber nicht als Gasthof. Das Gewerbe wurde abgemeldet, der Betrieb privatisiert. Tobias Schmitz wird Wohnungen zur Vermietung darin bauen, vielleicht auch zwei Ferienwohnungen. Und darauf ist Günter Schmitz stolz: "Als die Leute das erfahren haben, hatten wir schon vier, fünf Anfragen, wo sie sagen: Wir mieten eine Wohnung."