Im Cyberbunker-Verfahren überprüft der Bundesgerichtshof heute das Urteil des Landgerichts Trier - beide Seiten wollten das. Ein Mammut-Prozess könnte sich wiederholen.
Der Stadtbürgermeister von Traben-Trarbach, Patrice Langer (SPD), erinnert sich noch genau an den Tag, an dem der sogenannte "Cyberbunker" in seiner Stadt von der Polizei gestürmt wurde. Es war der 26. September 2019. Er nahm gerade an einer Verbandsgemeinderatssitzung im Nachbarort teil, sagt Langer, der selbst jahrzehntelang in dem Bunker gearbeitet hat, als er noch der Bundeswehr gehörte.
"Ich hatte mein Handy zwar leise gestellt, aber dauernd brummte irgendwas. Dann kamen die ersten Nachrichten rein: Was ist da am Bunker los? Da oben fliegen zwei Hubschrauber."
Razzia mit Hunderten Polizisten
Der Polizeieinsatz: Nach mehrjähriger Ermittlung durchkämmen im September 2019 hunderte Polizisten den "Cyberbunker", einen alten Bundeswehrbunker oberhalb der Mosel bei Traben-Trarbach. Die Verdächtigen, die sonst rund um die Uhr hier arbeiten, wurden vorher durch eine List in eine Gaststätte gelockt und dort verhaftet. Darunter auch Herman X., der Hauptangeklagte und der mutmaßliche Kopf der "Bunker-Bande", an den sich Stadtbürgermeister Langer noch gut erinnert.
"Im Stadtbild war er nicht oft anzutreffen. Aber wenn er anzutreffen war, sah man ihn halt mit seinen langen blonden Haaren und seinem langen Mantel. Das sah schon etwas merkwürdig aus für Traben-Trarbach", sagt Langer. "Er hatte auch einen dicken BMW X6 mit dem Nummernschild "BO-BO". Da sagten die Leute schon, 'der Bobo ist wieder da'. Man wusste also schon, wer es ist."
Landgericht Trier verurteilte Angeklagte
Im Dezember 2021 sprach das Landgericht Trier alle acht Angeklagten schuldig. Der Hauptangeklagte Herman X. wurde zu fünf Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er Teil einer kriminellen Vereinigung war. Deren Ziel: Server zur Verfügung zu stellen, über die kriminelle Geschäfte im Darknet abgewickelt werden konnten.
Von dem Vorwurf der Beihilfe zu den über die Bunker-Server begangenen 249.000 Straftaten - wie beispielsweise Drogenhandel - sprach das Gericht X. sowie die sieben Mitangeklagten frei. Es konnte nach Auffassung des Gerichts nicht nachgewiesen werden, dass Herman X. und seine Komplizen konkret von einzelnen Taten gewusst und diese aktiv gefördert hatten.
Revision vor BGH von Verteidigung und Anklage
Das sieht die Generalstaatsanwaltschaft anders und legte Revision ein. Die Behörde will, dass Herman X. und die sieben Mitangeklagten auch wegen Beihilfe zu Tausenden von Straftaten verurteilt werden, inklusive einer entsprechenden Haftverlängerung.
Die Anwälte von X. hingegen fordern Freispruch für ihren Mandanten. Sie sagen, dass ihr Mandant nicht wusste, was auf den Servern lag. Dabei berufen sie sich auch auf das Telemediengesetz, wonach er das auch gar nicht wissen müsse.
Neuauflage des Mammut-Prozess möglich
In der Revision vor dem Bundesgerichtshof wird das Verfahren nicht wiederholt, es werden keine Zeugen gehört und auch keine anderen Beweismittel erhoben. Die obersten Strafrichterinnen und Strafrichter überprüfen einzig und allein, ob in dem schriftlichen Urteil vom Landgericht Trier durchschlagende rechtliche Fehler zu finden sind.
Wenn dem so ist, könnte der BGH das Urteil komplett aufheben. In diesem Fall würde es zu einer Neuauflage des Cyberbunker-Prozesses vor einer anderen Kammer am Landgericht Trier oder einem anderen Landgericht kommen.
Die dort zuständigen Richterinnen und Richter würden dann über den genauen Umfang der Verhandlung entscheiden. Die meisten Beweismittel müssten aber erneut eingeführt werden. Im ersten Prozess vor dem Landgericht Trier wurden 100 Zeugen gehört und fast 80 Verhandlungstage abgehalten.
Bundesgerichtshof kann unterschiedlich entscheiden
Der BGH könnte das Urteil aber auch nur in Teilen aufheben. Dann würde lediglich der entsprechende Teil vor einem Landgericht neu verhandelt. Möglich ist aber natürlich auch, dass der BGH in dem Urteil aus Trier keine Rechtsfehler sieht und die Entscheidung bestätigt. Dann würde das Urteil des Landgerichts Trier aus dem Dezember 2021 rechtskräftig.
Nur wenn aus Sicht des BGH eine Verurteilung unter keinen Umständen in Frage kommt, könnten die Karlsruher Richterinnen und Richter die Angeklagten direkt freisprechen, ohne den Fall erneut an ein Landgericht zu verweisen. Im Falle eines Freispruchs würden die Angeklagten dann für ihre Zeit in der Haft entschädigt. Heute wird der BGH sich mit dem Fall beschäftigen.
Der niederländische Hauptangeklagte Herman X. hat zum jetzigen Zeitpunkt bereits einen Großteil seiner Haftstrafe abgesessen. Er könnte also frei sein, bevor ein endgültiges Urteil in dem Verfahren fällt, viele seiner Mitangeklagten sind es bereits.
Stadtbürgermeister begrüßt Revision
Stadtbürgermeister Patrice Langer ist froh, dass die Sache jetzt vor dem BGH verhandelt wird. Er ist sich im Klaren darüber, dass es damit noch dauern kann, bis er und seine Stadt den Vorfall abschließen können und er Klarheit darüber hat, was mit dem "Cyberbunker" auf dem Berg Mont Royal passiert.
"Ich würde es gut finden, wenn man die Beihilfe an den rund 250.000 Straftaten mit ins Kalkül ziehen würde. Da ist unheimlich viel Leid passiert und das soll nicht ungestraft bleiben."