Im Grenzland Rheinland-Pfalz ist Prostitution ein großes Thema. Denn spätestens seit dem in Frankreich eingeführten Gesetz, das Freier bestraft, herrscht eine größere Nachfrage.
Zwischen 400.000 und über einer Million Prostituierte gibt es nach Schätzungen von Expertinnen und Experten deutschlandweit. Laut dem Familienministerium Rheinland-Pfalz waren im Jahr 2020 offiziell 984 Prostituierte im Land registriert, ein Jahr später waren es 790. Die Dunkelziffer sei um ein Vielfaches höher, äußern Expertinnen und Experten weiter. Dass die Zahlen nicht konkret erfasst werden können, spürt auch die Beratungsstelle "SELMA" - "Selbstermächtigt leben in Mainz".
Die Einrichtung hat Anfang März ihre Arbeit aufgenommen, entstanden ist sie auf Initiative von Frauenministerin Katharina Binz (Grüne) und wird mit Landesmitteln gefördert. Träger ist SOLWODI e.V., der Verein setzt sich unter anderem für die Rechte von Frauen mit Migrations- und Fluchthintergrund ein und verfügt über viel Erfahrung in der Beratung von Frauen in der Prostitution. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter versuchen im ersten Monat sich einen Überblick über die Prostitution in Mainz zu verschaffen.
"Wir haben eine Standortanalyse gemacht und festgestellt, dass auch durch Corona - weil Prostitution verboten war - die Prostituierten in die Wohnungs- und Hotelprostitution abgewandert sind. Das ist schwer zu kontrollieren", sagt Miriam Toursel von der Beratungsstelle. "Außerdem wechseln Prostituierte oft die Stadt und das Bundesland."
Legale Prostitution in Deutschland
2002 hat die Bundesregierung beschlossen, Prostitution zu legalisieren. Prostituierte sind seitdem verpflichtet, zu jährlichen Gesundheitsberatungen zu gehen und sich beim Ordnungsamt anzumelden. Das macht nur ein Bruchteil von ihnen, schätzt Manfred Paulus. Der ehemalige Ulmer Kriminalhauptkommissar war fast 30 Jahre lang für die Bekämpfung von Rotlichtkriminalität zuständig und gilt als Experte in diesem Bereich.
Statt dass sich die Situation für Betroffene verbessert, sei das Gegenteil eingetreten. "Die Prostituierten erleben massive Gewalt, hauptsächlich durch Zuhälter und Freier. Sie stecken in einem kriminellen System aus Druck, Sucht und finanzieller Abhängigkeit", betont Paulus.
Laut Forschungen der Universität Heidelberg gibt es in Ländern mit liberalen Prostitutionsgesetzen generell mehr Menschenhandel als in Ländern, in denen die Prostitution verboten ist. Das ist das Ergebnis einer statistischen Querschnittsanalyse, in der die Folgen von legalem käuflichem Sex dokumentiert werden. Einen möglichen Grund sehen die Wissenschaftler darin, dass weniger strenge Prostitutionsgesetze zu einer Ausweitung der Prostitution führen, wodurch auch die Zahl der zwangsweise in diesem Land arbeitenden Prostituierten zunimmt.
Prostitution ein großes Thema im Grenzland Rheinland-Pfalz
Seit der Legalisierung in Deutschland hat die Prostitution bundesweit zugenommen. Die Entwicklung zeigt sich besonders in Städten und Kommunen in Grenznähe wie zum Beispiel in Rheinland-Pfalz. "Trier gilt deutschlandweit als eine Hochburg der Prostitution mit mehreren Großbordellen", schildert Paulus.
Laut Medienberichten noch mehr, seit Frankreich die Prostitution verboten hat. Denn zunehmend halten Autos mit französischen Kennzeichen vor den Bordellen. Es kommt zu Bürgerbeschwerden über mehr junge, knapp bekleidete Straßenprostituierte, die den Autofahrern zuwinken.
2016 hat eine große Mehrheit der Abgeordneten in Frankreich ein Gesetz nach dem Nordischen Modell verabschiedet, das Freier bestraft und Prostituierte entkriminalisiert. Frankreich erkenne damit an, dass Prostitution Gewalt gegen Frauen sei, betont Paulus. Daran solle sich Deutschland ein Beispiel nehmen.
Freiwilligkeit als Mythos
Ein Hauptargument der Bundesregierung für Prostitution: Man müsse den freiwilligen Prostituierten ermöglichen, diese Arbeit auszuführen. "Freiwilligkeit ist ein Mythos. Prostituierte kommen bis zu 95 Prozent aus Armutsregionen, wie aus Osteuropa. Sie arbeiten nicht freiwillig, sondern weil sie durch finanzielle Not oder ihre Zuhälter dazu gezwungen werden." In seiner aktiven Zeit könne sich der ehemalige Hauptkommissar an keine Prostituierte erinnern, von der er überzeugt gewesen sei, dass sie freiwillig ihren Körper verkauft habe.
Diese Meinung teilt auch Sandra Norak. Die Aussteigerin hat sechs Jahre in der Prostitution gearbeitet und studiert jetzt Jura, um als Opferanwältin anderen Aussteigerinnen zu helfen. "Es gab keinen Club, kein Bordell, in denen ich keine Zwangsprostitution gesehen habe. Nicht nur vereinzelt, sondern in der großen Masse. Auch in jeder Form von Prostitution, also auch im High Class Escort, wo viele denken, da sei alles in Ordnung."
In legalen Bordellen sei es ähnlich, erzählt Norak weiter. Die Legalität sei deshalb so gefährlich, weil die Menschen denken, dass dort alles legal ist, dass die Frauen auch legal angemeldet sind. "Das bedeutet nicht, dass die Frauen es selbstbestimmt machen. Sie müssen in den Zimmern schlimmste Sachen ertragen. Für sie ist es nichts, bei einer Kontrolle der Polizei zu lügen, dass alles in Ordnung ist. Vom Schein leben die Frauen, der Schein sichert ihr Überleben."
Schutz von Gewalt- und Sexualopfern
Sandra Norak fordert deshalb wie Manfred Paulus den Schutz von denjenigen, die sich nicht selbst schützen können. "Wenn wir sagen, eine große Masse macht es eben nicht freiwillig, dann muss die Berufsfreiheit derjenigen in diesem Sinne etwas zurücktreten, um Leben und Gesundheit der anderen besser zu schützen."
Viele Frauen seien sich ihrer Opferrolle gar nicht bewusst, weil die Zuhälter sehr oft aus der Familie kommen oder eigene Freunde und Partner sind. "Das macht etwas mit einem, das prägt einen Menschen und sehr oft kann das einen Jahre, Jahrzehnte oder für ein Leben lang traumatisieren." Neben Schutz von Gewalt- und Sexualopfern ist für Norak eine Aufklärung in der Gesellschaft und eine Senkung der Nachfrage, wie durch das Nordische Modell, notwendig, um weniger Ausbeutung und weniger Menschenrechtsverletzungen erreichen zu können.