In Rheinland-Pfalz werden immer wieder Notarztschichten gestrichen. An manchen Standorten fallen mehr als 50 Prozent der Dienste aus. Das sind Gründe und Perspektiven.
Es war ein Schock nach dem Schock. Vor rund eineinhalb Jahren bekommt der Mann von Edeltrud Klose einen Herzinfarkt - zuhause in Ingelheim (Kreis Mainz-Bingen). Klose setzt einen Notruf ab, aber der Notarzt lässt auf sich warten.
Zum Glück sind zumindest die Rettungssanitäter aus Ingelheim schnell da und überbrücken die Wartezeit. "Wenn die nicht so schnell da gewesen wären, hätte er keine Überlebenschance gehabt, er wurde ja reanimiert", erinnert sich Klose. Bis der Notarzt eingetroffen sei, habe es eine knappe halbe Stunde gedauert, weil der Notarztwagen aus Bingen gekommen sei, berichtet sie.
So häufig werden Notarzt-Dienste in RLP gestrichen
Im Winter 2021 fiel in Ingelheim oft der Notarzt aus. Im Januar sogar in über 50 Prozent der Dienste. Ärztinnen und Ärzte aus Mainz oder Bingen mussten einspringen. Auch wenn Ausfälle von über 50 Prozent nicht die Regel sind und sich die Situation in Ingelheim mittlerweile geändert hat, werden in Rheinland-Pfalz regelmäßig Notarztstandorte abgemeldet.
Aktuelle Zahlen des Innenministeriums für das zweite Halbjahr 2022 belegen das: 14 der insgesamt 68 Notarztstandorte mussten im Schnitt mehr als 15 Prozent ihrer Dienste streichen. Spitzenreiter waren die Standorte Hermeskeil (37,4 Prozent), Koblenz (Bundeswehr-Zentralkrankenhaus; 25,7 Prozent), Bingen (24,6 Prozent), Remagen (24 Prozent), Meisenheim (21,4 Prozent).
Fällt ein Standort aus, wird bei einem Notruf - wie sonst auch - der nächstgelegene Notarztwagen von der Leitstelle losgeschickt. Doch der hat dann in der Regel einen längeren Anfahrtsweg. Dies könne "ergänzende notärztliche Maßnahmen verzögern" schlussfolgert das Innenministerium in der Antwort auf eine Große Anfrage der CDU-Landtagsfraktion zum Thema. Der längere Anfahrtsweg ist ein Risiko, gerade in Fällen von Schlaganfällen und Herzinfarkten, wo jede Sekunde zählt.
Was sind die Gründe für das Abmelden von Notarztstandorten in RLP?
Der Hauptgrund für das häufige Abmelden ist fehlendes Personal. Das geht laut Innenminsterium aus den Angaben der acht Rettungsdienstbehörden im Land hervor.
Das ist selbst dort der Fall, wo Krankenhäuser die Standorte sowohl mit eigenen, angestellten Ärztinnen und Ärzten betreiben als auch mit Freiberuflerinnen und -beruflern und Honorarkräften. Den Angaben nach sind ländliche Regionen und kleine Krankenhäuser besonders betroffen.
Anderweitige Aufgaben verhindern Einsätze von Notärzten
Doch nicht nur das fehlende Personal ist Teil des Problems: An Krankenhausstandorten wird teils auch kurzfristig Personal nicht freigestellt, um die Notärzte und -ärztinnen bei Engpässen in den Kliniken selbst einsetzen zu können. So erklärt etwa die Klinikleitung in Remagen gegenüber dem SWR die hohen Abmeldequoten.
Ein weiterer relevanter Abmeldegrund betrifft den Einsatz von Notärztinnen und -ärzten für lntensivtransporte. Dies betrifft vor allem die Standorte in Kaiserslautern und den Bundeswehrstandort Koblenz, zu deren Dienstaufgaben auch die Besetzung der dortigen lntensivtransportwagen gehört.
Keine Besserung bei Notarztversorgung in RLP in Sicht
Das Innenmisterium erwartet, dass es zukünftig noch schwieriger wird, genügend Notärztinnen und -ärzte zu finden - und nennt eine Reihe von Gründen, die die Arbeit unattraktiv machen:
Ein Punkt ist die Finanzierung und Vergütung des Notarztdienstes. Besonders bei den Honorarkräften konkurriert demnach der Dienst mit besser bezahlten freiberuflichen Tätigkeiten. Dazu kommen immer neue Aufgaben, die hohe physische und psychische Belastung durch die Tätigkeit sowie die Belastungen im Schicht- und Nachtdienst.
Angriffe auf Rettungskräfte Schubsen für den Ernstfall: Deeskalationstraining für Helfer
Sie wollen helfen und werden attackiert - Rettungskräfte sind immer wieder verbalen oder handgreiflichen Angriffen ausgesetzt. Wie sie damit umgehen können, soll ein spezieller Deeskalationskurs zeigen.
Die Ausweitung von Urlaubszeiten und die Begrenzung der Zahl der Nachtdienste erschweren die Personalplanung zusätzlich.
Wie kann die Notarzt-Situation in RLP verbessert werden?
Dieser Aufzählung zum Trotz hebt die Landesregierung Maßnahmen hervor, mit denen sie versucht, den Rettungsdienst weiterzuentwickeln und attraktiver zu machen. Einerseits verweist das Innenministerium auf bereits geänderte Gesetze. Demnach wurde die Notarztfinanzierung früher auf Landesebene zwischen der Krankenhausgesellschaft und den Krankenkassenverbänden geregelt. Weil durch diese allgemeinen Abschlüsse aber einige Notarztstandorte nicht kostendeckend arbeiten konnten, verhandeln die Standorte nun selbst mit den Kostenträgern.
Die Landesregierung schreibt sich außerdem auf die Fahne, die nicht-ärztliche Notfallversorgung gestärkt zu haben. Durch das geänderte Notfallsanitätergesetz könnten diese nach ihre Ausbildung "eigenverantwortlich medizinische Maßnahmen der Erstversorgung bei Patientinnen und Patienten im Notfalleinsatz durchführen und dabei auch invasive Maßnahmen anwenden". So würde eine Verschlechterung der Situation der Patientinnen und Patienten bis zum Eintreffen der Notärztin oder des Notarztes vorgebeugt, wenn ein lebensgefährlicher Zustand vorliege oder wesentliche Folgeschäden zu erwarten seien.
So lange dauert es, bis der Rettungsdienst kommt
Für die Zukunft setzt Innenminister Michael Ebling zudem auf das Pilotprojekt "Telenotarzt". Ab 2023 soll in Ludwigshafen das Notarztsystem durch die telemedizinische Begleitung notfallmedizinischer Einsätze entlastet werden.
Was fordert die Opposition in Rheinland-Pfalz?
Die CDU in Rheinland-Pfalz kritisiert, dass das nicht zu mehr Personal führe. Es sei Kernaufgabe des Staates ein "funktionierendes und adäquat personalisiertes Notarztsystem" zu gewährleisten, so der Arzt und CDU-Abgeordnete Christoph Gensch. Es brauche daher mindestens 200 zusätzliche Medizin-Studienplätze.
In diese Kerbe schlägt auch Helge Schwab von den Freien Wählern. Im Landtag fragte er Ende März: "Die Ursache und Diagnose des Patienten 'Notfallbehandlung' ist gestellt. Aber was folgt an 'Behandlungsmaßnahmen'?" Er forderte 250 neue Studienplätze im Fach Humanmedizin in Rheinland-Pfalz.
Seine Fraktionskollegin Lisa-Marie Jeckel warf Innenminister Ebling im Landtag zudem vor, die Zuständigkeit bei dem Thema von sich zu weisen und in seiner Antwort auf die CDU-Anfrage nur mit Worthülsen zu jonglieren. Die Menschen im Land interessiere es aber nicht, welches Ministerium für eine Verbesserung zuständig gewesen wäre.